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Ich sehe die entsetzliche obere Häuserfront der Berliner Straßen, unerbittlich, scharf liniiert, schwärzlich kasernenhaft;
ich sehe neben dem unfreundlichen Mann am Schalter die kleine schmutzige Kaffeekanne, aus der er ab und zu einen Zivilschluck genehmigt;
ich sehe das Skelett des Tauchers, ausgestreckt auf dem Meeresgrund, der Taucherhelm ist aufgeplatzt, und durch die Luken des untergegangenen Schiffs fliegt ein Schwarm Fische an die ehemalige Bar, sie rufen: „Sherry-Cobler –!“;

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ich sehe den ehrenwerten Herrn Appleton aus Janesville (Wisconsin) auf der Terrasse des Boulevard-Cafés sitzen, lachende Kokotten bewerfen ihn mit Bällchen, er aber steckt seinen hölzernen Unterkiefer hart in die Luft;

ich sehe das blonde Gesicht des jungen Diplomaten, der mit nachlässigem Monokel erzählt: „Seinerzeit, während der sojenannten Revolution …“;
ich sehe den kleinen Jungen vor der Obsthandlung stehen und sein Pipichen machen, nachher stippt er den Finger hinein und malt Männerchen aufs Trottoir, das ist nicht hübsch von dem Kind –
Das sieht mein Gesicht.

Was hörst du, Walt Wrobel –?

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Ich höre den Küchenchef in der französischen Restaurantküche rufen: „Ils marchent: deux bifteks aux pommes! Une sole meunière!“ Und vier Stimmen unter den hohen weißen Mützen antworten: „Et c’est bon!“;

ich höre einen Ton in meinen Ohren klingen, mitten im Gespräch, wie eine Mahnung, wie eine Erinnerung, wie einen Trost;

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Kurt Tucholsky: Mit 5 PS. Ernst Rowohlt, Berlin 1928, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tucholsky_Mit_5_PS_345.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)