Seite:Uber den Einfluss des Korsetts auf die somatischen VerhaltnissPage10.png

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Fig. 10.

tiefste Einsenkung des Rückens bedeutend tiefer gelegen war als jene, welche „die Bauchwand oberhalb des Nabels schneidet“ und welche Langer als die vordere Demarkation der Taille anführt. Man sieht dies auch wieder bei den beiden Mädchen hier (Fig. 7 und 8). Bei beiden verläuft der kürzeste antero­posteriore Durchmesser schräg von vorne oben nach hinten unten. Das würde also heißen: Am nicht oder wenig deformierten Thorax verläuft die Taillenebene nicht horizontal, sondern schräg von vorne oben nach hinten unten. Erst die Wirkung des Korsetts bringt sie in eine Ebene, wie Fig. 9 zeigt. Hier verläuft sie ganz horizontal, und zwar stehen ihre Endpunkte vorne relativ tiefer, rückwärts höher als bei nicht deformierter Taille. Betrachten wir die scharfwinklige Lordose, welche der Weichteilcontour von Fig. 10 zeigt, der von demselben Mädchen wie Fig. 6 herrührt, so werden wir in der Meinung nur noch bestärkt, daß die horizontale Taillen­linie etwas Artifizielles ist. So scharfwinklig ist ein normaler Contour nie.

Also: Durch das Korsett wird die ganze Ebene des kleinsten horizontalen Leibesumfanges nach abwärts geschoben. Die Punkte der tiefsten Einsenkung am Bauch und am Rücken, die ursprünglich nicht in einer horizontalen Ebene liegen, liegen nun auch in dieser, in der Taillenlinie. Der erstere ist hinab-, der letztere hinaufgerückt.

Wir sehen auch eine stärkere Lordose, die wir uns am besten durch einen Auswuchs der Mode versinnbildlichen können. Es dürfte Ihnen wohl auch noch in Erinnerung stehen, daß unsere Damen vor einigen Jahren eine eigene Art vorne bauschiger Blusen trugen, die man, wenn ich nicht irre, russische nannte. Sie erzeugten das, was Pariser Tailleurs einen "Estomac à la polichinel", einen Wurstelmagen, nannten. Bekanntlich trägt dieser Hampelmann nicht nur hinten, sondern auch vorne einen Höcker. Diesen Magenhöcker imitierten die erwähnten Blusen, und das Hinaufrücken des Scheitels der Lendenlordose bringt eben gerade die Magengegend stärker zum Prominieren. Und gerade diese „Linie“ ist das Ideal unserer Frauen! – Linien bezeichnet im Schneiderjargon immer das Künstliche, „Formen“ das Natürliche. Unsere Frauen wollen keine Formen, nur Linien zeigen! Sie wollen nicht natürlich, sie wollen stilisiert erscheinen.

Das ist aber ein höchst ungesunder Stil, denn Hand in Hand mit dieser verstärkten Lordose geht eine stärkere Beckenneigung. Das Becken steht weiter zurück und die Schwerlinien der Viscera fallen nun zum großen Teile nicht mehr in die Unter­stützungsebene, das heißt ins Becken, sondern vor das Becken, etwa so wie ein Senkblei, das man von der Spitze des schiefen