Seite:Uber den Einfluss des Korsetts auf die somatischen VerhaltnissPage21.png

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Diese einfache Beobachtung, die jedermann anzustellen in der Lage ist, wird die Wirkung des modernen Mieders richtig deuten lassen.

Das moderne Mieder vermehrt die Lendenlordose, d. h. es fixiert den Rumpf in der militärischen Haltung. Nun haben wir aber gehört, daß diese Haltung nur durch Anspannung der Rückenmuskeln erzeugt werden kann, daher nicht geeignet ist, längere Zeit eingehalten zu werden, wenigstens nicht aktiv, ohne Kunsthilfe. Die erheblich geringere normale Lendenlordose ist aber dadurch bedingt, daß die Zwischen­wirbelscheiben vorne höher sind als hinten. Sie sind aber kompressibel und infolge dessen ist jeder Mensch am Abend niedriger als am Morgen, d. h. nach der durch die Körper­last erzeugten Kompression kleiner als vorher. Hyrtl fand Unterschiede bis zu einem halben Zoll und darüber und auch ich habe gefunden, daß Mädchen (nachdem sie bereits einen halben Tag auf den Beinen gewesen waren) durch das Anlegen des Korsetts noch um ½ bis ¾ cm größer wurden. Das Sich-aus-dem-Mieder-Herausheben hat also offenbar den Zweck, den Thorax auf den oberen trichterförmig erweiterten Teil des Korsetts möglichst breit aufzulagern, zu suspendieren und dadurch die Zwischenwirbelscheiben zu entlasten. Die Rückenmuskeln werden dagegen durch den eigenartigen Zu­schnitt und den Bandapparat des Korsetts entlastet. Für diesen Mechanismus ist es ganz gleichgiltig, ob es sich um ein hohes Korsett, eine niedere Ceinture oder ein tiefes Mieder handelt. Immer wird die Taille nach abwärts gerückt, höchstens wird noch überdies die vordere Bauchwand durch ein tiefes Korsett komprimiert. Sehr tief kann es ja nie reichen, weil es sonst beim Sitzen und Bücken hinderlich wäre.

Über zwei Punkte möchte ich noch einige Worte sagen. Wir haben gesehen, daß, abgesehen von der allgemeinen Kom­pression der Lungen, besonders der laterale rechte Pleurasinus fast gänzlich verstrichen war. Mit Rücksicht hierauf war mir die Mitteilung eines Wiener Spezialarztes sehr interessant, der sich als erfahrener Praktiker und verläßlicher Beobachter allgemeiner Anerkennung erfreut. Ihm sind nämlich in seiner Praxis in letzter Zeit besonders hartnäckige Katarrhe aufgefallen, die ausschließlich bei Frauen auftraten, natürlich bei miedertragenden, und alle rechts vorne unten in einer Zone zwischen vorderer Axillarlinie und dem Rippenbogen lokalisiert waren. Bekanntlich ist der rechte Bron­chus kürzer und weiter und sein Abgang von der Trachea ein der­artiger, daß die Respirationsluft viel direkter nach rechts geleitet wird, Fremdkörper, Staub etc. viel leichter nach rechts gelangen.