Seite:Uber den Einfluss des Korsetts auf die somatischen VerhaltnissPage5.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

weiblichen Formen handelte, sondern nur um die Immediat­wirkung des Korsetts, so hatte dieser Übelstand wenig Belang. Bei vergleichsweiser Heranziehung der analogen Verhältnisse vor Eintritt der Pubertät bei Individuen, die noch kein Mieder getragen haben, läßt sich mit ziemlicher Sicherheit erkennen, was der Miederwirkung zuzuschreiben ist.

Wir haben die verschiedensten Korsetts untersucht. Von der bereits erwähnten Schnürbrust Sömmerings ange­fangen bis auf unsere Tage, bis auf die letzte Pariser Création, die den bezeichnenden Namen "La Sylphide" führt, hat die Form des Korsetts wohl in Kleinigkeiten gewechselt, ist aber im Prinzipe gleich geblieben. Der hoch hinaufreichende Küraß, die niedere Ceinture, das tiefe Mieder, das auch die Hüften und einen Teil des Gesäßes komprimiert, alle haben nur einen Zweck: die Erzeugung der Taille. Das heutige Korsett reicht an die Brüste kaum heran, wir können daher die früher wohl auch beabsichtigte Hebung oder Unterstützung der Brüste aus dem Bereiche der Erörterung lassen.

Die Taille, die Erzeugung einer zirkulären Einschnürung ist heute der Endzweck.

Wir haben gefunden, daß die Definition des Begriffes Taille ziemlich kontrovers ist. Wenn man eine Beschreibung der Taille geben soll, wie sie sich, nehmen wir an, unsere Frauen vorstellen, so gehört zu deren Begriff die allmähliche Verengerung des Brustkorbes von der Schulterhöhe bis etwa handbreit unter die Mitte des Sternums und die ebenso all­mähliche Verbreiterung von hier gegen die Hüften zu. Die Taille unserer Frauen findet somit ihren Ausdruck einerseits in einer horizontalen Linie des kleinsten Leibesumfanges, anderseits in dem Taillendreieck, das in der Frontansicht beider­seits tief einspringt und dessen Spitze in dieser horizontalen Umfangslinie liegt.

Das dritte Erfordernis einer modernen Taille ist die Erzeugung einer gehörigen Ausbiegung in der Lendengegend, die Lendenlordose. Darin unterscheidet sich die moderne Taille von jener aus der Zeit Sömmerings.

Wir wollen uns zunächst mit diesen drei Punkten befassen.

Betrachten wir uns vor allem das Bild eines Mädchens, das noch kein Mieder getragen hat.

Fig. 1. Therese L., 12 Jahre.

Fig.  1. Therese L., 12 Jahre. Was dem Beschauer sofort in die Augen fallen muß, ist die gänzliche Abwesenheit einer „Taille“, auch von einem Taillendreieck ist keine Spur, wie dies bei Kindern die Regel ist. Vom unteren Rande der vor­deren Achselfalte an fällt der seitliche Thoraxcontour fast perpendikulär bis auf den Hüftbeinkamm, um erst hier in