Seite:Ueber die Liebe 015.jpg

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Betrachtung aus: „Dieses Glück wird mir niemals wieder lachen und nur durch meine eigene Schuld ging es mir verloren.“ Wenn wir unser Heil in anderen Eindrücken suchen, so vermag sie unser Herz nicht aufzunehmen. Unsere Phantasie mag uns den körperlichen Vorgang noch so gut vorführen, sie mag uns auf flüchtigem Pferd durch die Wälder von Devonshire dahinjagen lassen, wir sehen und fühlen doch deutlich, daß wir keine Freude daran hätten. Solche optische Täuschungen sind im stande, uns die Pistole in die Hand zu drücken.

Auch das Hazardspiel hat seine Kristallbildung durch die Pläne, was wir mit dem gewonnenen Gelde anfangen wollen.

Und die vom Adel zurückersehnte Glücksjagd am Hofe, die unter dem Namen der Legitimität betrieben wurde, war lediglich durch die Kristallbildung, die sie erregte, verführerisch. Jeder Höfling träumte von dem fabelhaften Glück eines Luynes oder Lauzun, und jede galante Dame sah im Geiste die Herzogskrone der Frau von Polignac vor sich.

Keine Regierung mit vernünftigen Grundsätzen wird je wieder solche Kristallbildungen zugeben. Ein Muster des nüchternsten Gegensatzes ist die Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Auch ihren Nachbarn, den Indianern, war ja, wie wir gesehen haben, die Kristallbildung etwas Fremdes. Die Römer kannten sie ebensowenig und betätigten sie nur in der Liebe aus Sinnlichkeit.

Ebenso hat der Haß seine Kristallbildung. Sobald man hoffen kann, sich zu rächen, fängt man von neuem an zu hassen.


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_015.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)