Seite:Ueber die Liebe 016.jpg

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Ferner ist es nichts anderes als Kristallbildung, wenn irgend eine Lehre, die auf Absonderlichkeiten und unbeweisbaren Sätzen fußt, gerade bei den verschrobensten Leuten begeisterten Anklang findet. Selbst in der Mathematik gibt es eine Kristallbildung – man denke an die Schüler Newtons im Jahre 1740 – besonders in solchen Köpfen, die nicht alle Glieder der Beweisführung dessen, was sie glauben, mit einem Blick zu überschauen vermögen.

Ein weiteres Beispiel dafür bietet das Mißgeschick der großen deutschen Philosophen, deren so oftmals laut verkündete Unsterblichkeit keine dreißig oder vierzig Jahre überdauert.

In der Musik überläßt sich selbst der logische Mensch fanatisch den Gefühlen, weil man sich über ihr Warum keine Rechenschaft ablegen kann.

Gegen solche Übermacht kann man nicht mit Vernunftgründen ankämpfen.


7. Von den Unterschieden, welche die Entstehung der Liebe bei den beiden Geschlechtern zeitigt


Die Frauen fesseln sich durch ihre Hingabe. Wenn neunzehn Zwanzigstel ihrer alltäglichen Träumereien in der Liebe gipfeln, so gruppieren sich diese Träumereien, wenn sie alles hingegeben haben, nur noch um den einen Gedanken, jenen ungewöhnlichen, entscheidenden und ihrer schamhaften Natur zuwiderlaufenden Schritt zu rechtfertigen. Ein ähnlicher Vorgang ist beim Manne nicht vorhanden; infolgedessen lebt das

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_016.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)