Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour) | |
|
Immer wieder muß man sich vergegenwärtigen, daß wir es mit Geschöpfen zu tun haben, die sich, wenn auch mit Unrecht, einbilden, uns an Charakterstärke nachzustehen, oder besser gesagt, die den Argwohn hegen, daß wir sie für minderwertig halten.
Der echte weibliche Stolz will sich vielleicht in der Größe der verursachten Empfindungen wiederfinden. Man verspottete eine Hofdame der Gemahlin Königs Franz des Ersten wegen der Leichtsinnigkeit ihres Geliebten, der sie gar nicht liebte, wie man sagte. Bald darauf erkrankte er und kehrte stumm geworden zum Hofe zurück. Nach zwei Jahren, als man sich wunderte, daß sie ihn noch liebte, sagte sie zu ihm: „Sprechen Sie doch!“ Und er sprach wieder.
- I tell thee, proud Templar, that not in
- thy fiercest battles hadst thou displayed
- more of thy vaunted courage, than has
- been shewn by woman when called upon
- to suffer by affection or duty.
Ich erinnere mich, in einem Geschichtswerke folgenden Satz gelesen zu haben: „Alle Männer verloren den Kopf, es war ein Moment, wo die Frauen unstreitig die Überlegenheit erlangten.“
Der Mut der Frau hat einen Rückhalt, der dem Manne fehlt. Sie fühlen sich durch ihren Geliebten in ihrer Eigenliebe verletzt und haben daher eine große Freude daran, im Drange der Gefahr es mit der Festigkeit eines Mannes aufnehmen zu können, der sie so oft durch seinen Stolz als Beschützer und durch
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_079.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2018)