Seite:Ueber die Liebe 088.jpg

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daß er nur zwei Tage daran hätte denken müssen. Nach Verlust dieses früheren Gleichmutes rang er nun seit zwei Jahren in jeder Minute nach Mut. Bis dahin wußte er nicht, was Gefahr ist.“

Als er wegen seines unklugen Verhaltens und seiner Vertrauensseligkeit dazu verurteilt war, die Frau, die er liebte, nur zweimal im Monat zu sehen, haben wir gesehen, wie er freudetrunken ganze Nächte lang von ihr sprach, weil er von ihr mit jener vornehmen Aufrichtigkeit aufgenommen worden war, die er an ihr anbetete. Er behauptete, Frau *** und er hätten besondere Seelen, die sich durch einen Blick verstünden. Er konnte es nicht fassen, daß die Geliebte dem spießbürgerlichen Klatsch, der ihm etwas Schlechtes nachsagte, irgend welchen Wert beilegen konnte. Die Folge seines schönen Vertrauens zu einer von seinen Feinden umgebenen Frau war die, daß sie ihm ihre Türe verschloß.

„Frau *** gegenüber,“ sagte ich ihm, „vergißt du deine Grundsätze. Man darf nur in den seltensten Fällen an Seelengröße glauben.“

„Glaubst du,“ entgegnete er, „daß es in der Welt ein zweites Herz gibt, das besser zu dem ihren paßt? Gewiß, ich bezahle meine leidenschaftliche Art mit dem Unglück, das ich in allen Unternehmungen meines äußeren Lebens habe, weil es mir an geduldigem Geschäftssinn fehlt und ich mich im Banne der augenblicklichen Eingebung zu Unvernünftigkeiten verleiten lasse.“

Man erkennt hierin den Schatten des Wahnsinns.

Für ihn war das Leben in Abschnitte von je vierzehn Tagen geteilt, deren Stimmung jedesmal die

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_088.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)