Seite:Ueber die Liebe 103.jpg

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Die Liebe aus Galanterie gewinnt durch Geständnisse, die Liebe aus Leidenschaft verliert durch sie.

Abgesehen von der Gefahr, sind Geständnisse überhaupt schwierig. Was in der Liebe aus Leidenschaft nicht ausgedrückt werden kann, weil die Sprache zu grob ist, um diese Nuancen wiederzugeben, ist doch nichtsdestoweniger vorhanden. Nur ist man bei der Beobachtung zarter Dinge sehr leicht Täuschungen ausgesetzt. Und in der Leidenschaft ist man ein schlechter Beobachter; man ist ungerecht gegen den Zufall.

Es ist immer das Weiseste, sein eigner Vertrauter zu sein. Man schreibe abends unter erdichtetem Namen, aber mit allen charakteristischen Einzelheiten, das Gespräch, das man eben mit seiner Geliebten geführt hat, und die Bedenken, die einen drücken, nieder. Wenn man Liebe aus Leidenschaft hegt, wird man in acht Tagen ein anderer Mann sein. Wenn man dann seine Bedenken wieder liest, kann man sich selbst den besten Rat erteilen.

Unter Männern, sobald ihrer mehr als zwei sind und Neid möglich wäre, erfordert es die Höflichkeit, nur von Liebe aus Sinnlichkeit zu sprechen. Man denke nur an das Ende von Herrendiners! Man zitiert Sonette von Baffo, die ein unendliches Behagen hervorrufen, weil jeder die Lobpreisungen seines Nachbars, der vielleicht nur lustig oder höflich sein will, wörtlich nimmt. Die zärtlichen Feinheiten Petrarcas oder französische Madrigale wären dagegen nicht am Platze.


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_103.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)