Seite:Ueber die Liebe 105.jpg

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Liebe der Besitz nichts, der Genuß alles ist“. Man überschätzt das Glück des anderen, man überschätzt den Übermut, zu dem ihn sein Glück verleitet, und man gerät dadurch in den qualvollsten Zustand und in grenzenloses Unglück, das noch durch einen Rest von Hoffnung vergiftet wird.

Das einzige Heilmittel ist vielleicht, das Glück des Rivalen aus nächster Nähe zu beobachten. Oft sieht man dann, wie er friedlich im Zimmer neben der Frau schlummert, bei deren bloßer Erinnerung oder wenn wir auf der Straße einen dem ihrigen ähnlichen Hut von weitem erblicken, uns das Herz still steht.

Um den Rivalen aufmerksam zu machen, braucht man nur die Eifersucht sehen zu lassen. Das würde aber den Erfolg haben, ihn über den Wert der Frau aufzuklären, die ihm den Vorzug gibt, und dann ist man vielleicht erst die Ursache seiner Liebe zu ihr.

Bei Begegnungen mit dem Rivalen gibt es keinen Mittelweg; entweder scherzt man mit ihm auf möglichst ungezwungene Weise, oder man jagt ihm Angst ein.

Da die Eifersucht das schlimmste aller Übel ist, findet man eine angenehme Zerstreuung darin, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Dann ist unser Denken doch nicht durch und durch vergiftet und (infolge des oben geschilderten Vorganges) ganz in Nacht getaucht. Man kann sich bisweilen vorstellen, daß man den Rivalen tötet.

Nach dem Grundsatze, den Feind nie zu verstärken, muß man die eigene Liebe vor dem Nebenbuhler verbergen und ihm unter vier Augen, wie aus Eitelkeit und ohne den fernsten Gedanken an Liebe, mit der

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_105.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)