Seite:Ueber die Liebe 117.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Dieser Ehrgeiz darf in der Liebe aus Leidenschaft nicht vorkommen. Nur der weibliche Stolz kennt ihn: „Wenn ich mich von meinem Geliebten schlecht behandeln lasse, wird er mich verachten und nicht mehr lieben.“ Oder er steigert die Eifersucht bis zur Raserei.

Der Eifersüchtige will den Tod dessen, den er fürchtet. Ganz anders der Ehrgeizige: er will, daß sein Feind lebe, er soll nur Zeuge seines Triumphes werden.

Ein ehrgeiziger Mann empfindet es schmerzlich, wenn sein Rivale von der weiteren Mitbewerbung abläßt, denn möglicherweise sagt sich jener innerlich voll Übermut: „Wenn ich mich fernerhin mit ihr beschäftigt hätte, würde ich über den andern gesiegt haben.“

Im Ehrgeiz denken wir nicht an das eigentliche Ziel, es handelt sich um den bloßen Sieg. So ist es bei den Liebeleien der kleinen Mädchen von der Oper. Sobald sie keine Rivalin mehr sehen, ist ihre angebliche Leidenschaft, derentwegen sie zum Fenster hinausspringen wollten, verraucht.

Im Gegensatz zur Liebe aus Leidenschaft vergeht die Liebe aus Eitelkeit sehr schnell. Es genügt, daß der Rivale durch einen entschiedenen Schritt verrät, daß er nicht mehr mitkämpft. Ganz sicher bin ich mir zwar über diese Behauptung nicht; ich kann nur ein Beispiel dafür anführen, das mich selbst im Zweifel läßt. Die Tatsache ist folgende.

Donna Diana ist ein junges Mädchen von dreiundzwanzig Jahren, die Tochter eines der reichsten und stolzesten Bürger Sevillas. Sie ist ohne Zweifel eine Schönheit, doch eine Schönheit in ihrer Art, und man spricht ihr sehr viel Geist und noch mehr Stolz

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_117.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)