Seite:Ueber die Liebe 148.jpg

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Lieber kannst du deine Liebe einem Straßenräuber schenken. Trotz seines sanften und gemessenen Benehmens bringt er es fertig, dir einen Dolch ins Herz zu bohren und dich dabei mit liebenswürdigem Lächeln zu fragen: Liebchen, tut es weh?“ – So geschehen am 30. September 1819 in Gegenwart eines hübschen fünfzehnjährigen, übrigens sehr geweckten Mädchens, der Tochter jener Dame, die den guten Rat empfing.

Die Natürlichkeit der südlichen Liebenswürdigkeit ist nichts, als die einfache Entwickelung einer großangelegten Natur, die durch den doppelten Mangel an guter Erziehung und an bedeutenden Ereignissen begünstigt wird. Wenn ein Nordländer das Unglück hat, nicht von Anfang an dadurch abgestoßen zu werden, so kommen ihm nach Verlauf eines Jahres die Frauen aller anderen Länder unausstehlich vor.

Er sieht die niedlichen Französinnen, die in den ersten drei Tagen recht liebenswürdig und verführerisch, aber schon am vierten langweilig sind; sobald man nämlich dahinter kommt, daß all ihr Liebreiz vorher einstudiert und angelernt ist und für jedermann und jeden Tag ewig derselbe bleibt.

Er sieht die deutschen Frauen, die im Gegensatz zu den Französinnen so natürlich sind und sich so leidenschaftlich ihrer Phantasie hingeben, aber doch bei aller ihrer Natürlichkeit oft innerlich arm, einfältig und rührselig sind. Der Ausspruch des Grafen Almaviva scheint in Deutschland niedergeschrieben zu sein: „Und man ist höchst erstaunt, eines schönen Abends Übersättigung zu finden, wo man das Glück suchte.“

In Rom darf der Fremde nicht vergessen, daß in

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Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_148.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)