Seite:Ueber die Liebe 157.jpg

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„Es gibt überall leichtsinnige und launenhafte Frauen, aber im allgemeinen sind die Wienerinnen treu und gar nicht kokett. Wenn ich sage treu, so meine ich dem Geliebten ihrer Wahl, denn die Ehemänner sind in Wien wie überall.“

„Die schönste Frau Wiens hat die Huldigungen eines meiner Freunde, des Hauptmanns M*** im Hauptquartier des Kaisers, angenommen. Er ist ein hübscher und gescheiter junger Mann, aber sicherlich bietet weder seine Erscheinung, noch sein Gesicht etwas besonders Bemerkenswertes.

Seit einigen Tagen erregt seine junge Freundin das größte Aufsehen unter unseren glänzenden Stabsoffizieren, die ihre Zeit damit totschlagen, alle Winkel Wiens zu durchstöbern. Es gilt, der Kühnste zu sein; alle Kriegslisten werden angewandt; das Haus dieser Schönen ist von den hübschesten und reichsten Offizieren in Belagerungszustand versetzt. Die Junker wie die glänzenden Obersten, die Gardegenerale, ja selbst Prinzen, vergeuden ihre Zeit unter ihren Fenstern. Keiner hat Erfolg. In Paris oder in Mailand waren diese Prinzen nicht gewohnt, grausame Frauenherzen zu finden. Als ich über das Mißgeschick dieser Herren mit jener reizenden Frau belustigt plauderte, sagte sie zu mir: ‚Aber, mein Gott, wissen Sie denn nicht, daß ich den Hauptmann M*** liebe?‘“

(Seite 290:) „Als wir in Schönbrunn lagen, bemerkte ich, daß zwei jüngere Herren aus der Umgebung des Kaisers niemanden in ihrer Wiener Wohnung emfingen. Wir neckten die beiden mehrfach wegen

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_157.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)