Seite:Ueber die Liebe 164.jpg

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Vorzüglich finde ich in den einst berühmten Romanen der Miß Burney die Schilderung der gesellschaftlichen Zustände unter den englischen Frauen, wie sie der wortkarge Dünkel der Männer verschuldet hat. Da es gewöhnlich ist, um ein Glas Wasser zu bitten, wenn man durstig ist, so verdursten die Heldinnen der Miß Burney lieber. Um das Gewöhnliche zu meiden, fällt man in die schauderhafteste Ziererei.

Ich vergleiche die Vorsicht eines jungen Engländers von zwanzig Jahren mit dem tiefen Mißtrauen eines gleichalterigen Italieners. Der Italiener wird dazu gezwungen, um sich persönlich zu sichern, er legt aber sein Mißtrauen ab oder vergißt es wenigstens, sobald er vertraut wird, während sich Vorsicht und Hochmut beim jungen Engländer gerade inmitten der augenscheinlich zärtlichsten Gesellschaft verdoppeln.

Wohlgemerkt zwingt das Los des Silvio Pellico und hundert anderer den Italiener zum Mißtrauen, während die Vorsicht des jungen Engländers nur durch die übertriebene und krankhafte Empfindlichkeit seiner Eitelkeit verursacht wird. Der Franzose, der in seiner Denkweise jederzeit verbindlich ist, sagt seiner Geliebten alles. Das ist eine Gewohnheit bei ihm, ohne die er nicht ungezwungen wäre, und er weiß, daß es ohne Ungezwungenheit keine Anmut gibt.

Nur mit Schmerz und mit Tränen im Auge habe ich gewagt, das Vorstehende niederzuschreiben. Da ich aber auch einem Könige nicht schmeicheln würde, warum sollte ich da von einem Lande nicht sagen, was ich denke, wenn es of course auch recht ungereimt sein kann, weil ich gerade diesem Lande das

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Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_164.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)