Seite:Ueber die Liebe 186.jpg

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man ihm erzählt hatte, nicht wahr und leeres Gerede sei, Agnes und Wilhelm kamen aus dem Gemach, das Abendessen wurde bereitet und man tafelte bei großer Heiterkeit. Und nach dem Abendessen ließ Agnes beider Lager nahe an der Türe zu ihrem Gemache errichten. Die Dame und Wilhelm spielten ihr Spiel so gut, daß Raimund glaubte, er schliefe bei ihr.

Am anderen Tage speisten sie im Schlosse mit großer Heiterkeit, und nach dem Mahle ritten sie mit allen Ehren eines ritterlichen Abschieds von dannen und kamen nach Roussillon zurück. Und sobald Raimund konnte, trennte er sich von Wilhelm, ging zu seiner Frau und erzählte ihr, was er von Wilhelm und ihrer Schwester gesehen hatte. Darüber war sie die ganze Nacht in großer Traurigkeit und am nächsten Morgen ließ sie Wilhelm rufen, empfing ihn ungnädig und nannte ihn einen falschen Freund und Verräter. Wilhelm bat um Gnade als ein Mann, der nichts Schlechtes von all dem getan habe, was sie ihm vorwarf, und erzählte ihr alles Wort für Wort, was sich begeben hatte. Die Dame rief ihre Schwester zu sich und erfuhr durch sie, daß Wilhelm recht hatte. Deshalb sagte sie ihm und befahl ihm, er solle ein Lied machen, in dem er zeigte, daß er außer ihr keine Frau liebe. Da dichtete er das Lied, das beginnt:

„Das süße Träumen,
Das Minne mir gewährt …“

Und als Raimund von Roussillon das Lied hörte, das Wilhelm für seine Frau gedichtet hatte, ließ er ihn kommen, um weit ab vom Schlosse ihn zur Rede zu stellen, schlug ihm den Kopf ab und steckte ihn

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_186.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)