Seite:Ueber die Liebe 190.jpg

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Urteile wie gesetzliche Bestimmungen anzusehen seien und daß unbotmäßige Damen sich die Feindseligkeit jeder anständigen Dame zuziehen würden.

Wie weit erkannte aber die öffentliche Meinung die Urteilssprüche dieser Minnegerichte an? Galt sich ihnen zu entziehen genau so als Schande, wie heutzutage in Ehrensachen? Ich finde bei André und bei Nostradamus keine Auskunft über diese Fragen.

Zwei Troubadoure, Simon Doria und Lansranc Cigalla, regten einmal die Frage an: „Wer ist der Liebe würdiger, jemand, der sie freiwillig, oder jemand, der sie unfreiwillig gewährt, um für freigebig zu gelten?“ Diese Frage wurde den Damen des Minnegerichts von Pierrefeu und Signe vorgelegt, aber die beiden Troubadoure waren mit der gefällten Entscheidung nicht zufrieden und wandten sich an das oberste Minnegericht der Damen von Romanin.

In ihrer Fassung entsprachen diese Urteilssprüche ganz den Richterurteilen jenes Zeitalters. Wie auch die Meinung des Lesers über die gewaltige Macht sein mag, die damals die Minnegerichte im zeitgenössischen Leben bildeten, ich bitte dabei in Betracht zu ziehen, um was sich heute die Unterhaltung der vornehmsten und reichsten Damen von Toulon und Marseille bewegt. Waren die Frauen von 1174 nicht um vieles fröhlicher, geistreicher und glücklicher, als die von heute?

Fast alle Urteilssprüche der Minnegerichte fußen auf den Satzungen des Liebeskodex. Er findet sich vollständig in dem Werke von André und enthält folgende einunddreißig Sätze.


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_190.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)