Seite:Ueber die Liebe 209.jpg

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gut, er läßt Corinna so streng bewachen, daß Ovid sich ihr nicht mehr nähern kann. Nun beklagt er sich über diese Überwachung, deren Ursache er selbst ist, und hofft sie zu überwinden. Zu seinem Unglücke ist er nicht der einzige, dem das gelingt. Die Untreue Corinnas wiederholt und vermehrt sich; ihre Streiche werden stadtbekannt, so daß Ovid als einzige Gunst darum bittet, bei ihren Hintergehungen umsichtiger zu verfahren und nicht allzu offenkundig ihre wahre Natur zu verraten. Derartig waren die Sitten Ovids und seiner Geliebten und derartig ihre Liebe.

Cynthia ist die erste Liebe des Properz und wird seine letzte sein. Solange er glücklich ist, ist er eifersüchtig. Cynthia ist maßlos putzsüchtig; er bittet sie, den Luxus zu meiden und die Einfachheit zu achten. Er selbst freilich gibt sich mannigfachen Ausschweifungen hin.

Cynthia erwartet ihn; erst am frühen Morgen geht er zu ihr; er kommt von einer Zecherei und ist vom Wein berauscht. Er findet sie im Schlafe; es dauert lange, bis der Lärm, den er macht, und selbst seine Liebkosungen Cynthia aufwecken. Endlich öffnet sie die Augen und macht ihm wohlverdiente Vorwürfe.

Ein Freund will ihn von Cynthia losreißen; er preist diesem Freunde ihre Schönheit und ihre Begabung. Einmal verliert er sie beinahe. Sie geht mit einem Soldaten durch, folgt ihm ins Lager und erträgt allerlei, nur um bei ihm zu sein. Properz ist außer sich, er weint und gelobt ihr alles Glück. Kaum weicht er aus ihrem verlassenen Hause, er sucht Fremde auf, die sie gesehen haben, und fragt sie endlos nach Cynthia aus. So viel Liebe erweicht sie; sie verläßt

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Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_209.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)