Seite:Ueber die Liebe 210.jpg

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den Soldaten und bleibt wieder bei dem Dichter. Er dankt Apollo und den Musen und ist trunken vor Glück.

Bald wird es wieder durch neue Anwandlungen von Eifersucht getrübt, durch gezwungenes Fernsein unterbrochen. Fern von ihr denkt er nur an sie. Ihre frühere Untreue läßt ihn neue befürchten. Todesgefahren schrecken ihn nicht, er fürchtet nur den Verlust Cynthias. Wenn er ihrer Treue gewiß wäre, würde er ohne Bedauern in das Grab sinken.

Nach neuen Verrätereien glaubt er seine Liebe überwunden zu haben, aber bald ist er wieder in ihren Fesseln. Er entwirft das entzückendste Bild von seiner Geliebten, von ihrer Schönheit, ihrer Eleganz und ihrem Geschmeide, ihren Fähigkeiten im Gesang, in der Dichtkunst und im Tanz. Alles verdoppelt oder rechtfertigt seine Liebe. Aber die ebenso lasterhafte wie liebenswürdige Cynthia entehrt sich durch ihre Abenteuer vor der ganzen Stadt so auffällig, daß Properz sie ohne Schande nicht mehr lieben kann. Er errötet darüber, aber er vermag sich nicht von ihr loszureißen. Er bleibt ihr Liebhaber, ihr Gatte; niemals will er eine andere lieben.

Sie verlassen und versöhnen sich nochmals. Cynthia ist eifersüchtig, er beruhigt sie. Nie will er eine andre lieben. In Wahrheit sind es nicht einzelne Frauen, die er liebt, es sind alle Frauen. Er besitzt ihrer nie genug, er ist im Genuß unersättlich. Um ihn zur Besinnung zu bringen, ist es wiederum nötig, daß ihn Cynthia verläßt. Seine Klagen sind nun so lebhaft, als ob er selbst niemals untreu gewesen wäre. Er will fliehen. Er zerstreut sich durch Ausschweifungen.

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_210.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)