Seite:Ueber die Liebe 216.jpg

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Wenn wir es wagten, würden wir die jungen Mädchen wie Sklaven erziehen; das geht schon daraus hervor, daß sie vom Nützlichen nur so viel wissen, als wir, ihre Lehrer, wollen.

„Aber das Wenige, daß sie unglücklicherweise an Bildung erhaschen, wenden sie gegen uns an“, werden gewisse Ehemänner sagen. Kein Zweifel. Napoleon hatte sehr recht, als er der Nationalgarde keine Waffen gab. Wenn wir einem Menschen Waffen geben und fortfahren, ihn zu unterdrücken, so werden wir es erleben, daß er diese Waffen gegen uns zu gebrauchen wagt.

Selbst wenn wir berechtigt wären, die jungen Mädchen wie Idioten mit Ave Marias und schlüpfrigen Liedern (wie in den Klöstern von 1770) zu erziehen, so gäbe es immer noch einige kleine Einwände dagegen:

Erstens: Falls der Gatte stirbt, sind die Frauen berufen, der jungen Familie vorzustehen.

Zweitens: Als Mütter geben sie den männlichen Kindern, den jungen künftigen Tyrannen, die erste Erziehung, die den Charakter bildet und die Seele bestimmt, das Glück mehr auf dem oder jenem Wege zu suchen, was sich bereits mit vier oder fünf Jahren entscheidet.

Drittens: Bei allem unseren Dünkel sind die Ratschläge der notwendigen Lebensgefährtin von größtem Einfluß auf unsere kleinen inneren Angelegenheiten, von denen unser Glück vor allem abhängt, weil das Glück in Ermangelung von Leidenschaften in der Vermeidung der kleinen alltäglichen Widerwärtigkeiten beruht. Keineswegs wollen wir der Frau den geringsten Einfluß

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_216.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)