Seite:Ueber die Liebe 225.jpg

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gerade die Pariserinnen die liebenswürdigsten Frauen Frankreichs? Sind es nicht gerade die, in deren Köpfe der Zufall die richtigsten und anmutigsten Gedanken gelegt hat? Gerade das sind Ideen, wie ich sie von Büchern verlange Ich mute gewiß keiner Frau zu, Grotius oder Pufendorf zu lesen, seit wir das Buch von Tracy über Montesquieu haben.

Es gibt in Frankreich ungefähr fünfzigtausend Frauen, die durch ihre Vermögensverhältnisse aller Arbeit überhoben sind. Aber ohne Arbeit kein Glück. Selbst die Leidenschaften zwingen zur Arbeit und zwar zu recht harter Arbeit, die die ganze Tatkraft der Seele beansprucht.

Eine Frau mit vier Kindern bei zehntausend Franken Jahreseinkommen arbeitet, wenn sie Strümpfe strickt oder für ihr Töchterchen ein Kleid näht. Aber unmöglich arbeitet eine Frau, die einen eigenen Wagen hat, wenn sie eine Stickerei oder etwas Ähnliches anfertigt. Außer einem bißchen Eitelkeit hat sie kaum irgend ein Interesse dabei: also arbeitet sie nicht.

Folglich ist ihr Glück schwer bedroht.

Und was noch mehr sagen will, das Glück ihres Gebieters; denn eine Frau, deren Herz kein anderes Interesse, als das für ihre Stickerei erfüllt, kann leicht auf den übermütigen Gedanken geraten, daß Liebe aus Galanterie oder aus Eitelkeit oder gar aus Sinnlichkeit im Vergleich zu ihrem gegenwärtigen Zustand ein ungeheures Glück sei.

„Eine Frau soll vermeiden, daß man von ihr spricht.“

Von neuem muß ich darauf entgegnen: Spricht man von einer Frau, weil sie lesen kann? Und was hindert die Frauen, bis der Umschwung ihres

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_225.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)