Seite:Ueber die Liebe 240.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


das wirklich von auffälliger Schönheit war, den Hof. Schließlich faßte er sich ein Herz und fragte, ob er nicht nachts zu ihr kommen dürfe. Sie antwortete: „Nein, denn ich schlafe mit meiner Kousine zusammen, aber ich werde zu Ihnen kommen.“ Man stelle sich die freudige Erregung vor, die diese Antwort hervorrief. Man aß zu Abend, dann stand der Fremde auf, das Mädchen nahm den Leuchter und folgte ihm in sein Zimmer. Er glaubte, das Glück in den Armen zu haben. „Nein,“ sagte sie treuherzig, „erst muß ich meine Mutter um Erlaubnis fragen.“ Ein Blitzschlag würde ihn nicht mehr niedergeschmettert haben. Sie geht hinaus, er folgt heimlich bis an das Schlafzimmer der braven Leute und hört, wie das junge Mädchen in schmeichelndem Tone die Mutter um die erwünschte Erlaubnis bittet; endlich wird sie gewährt. „Nicht wahr, Alter,“ sagt die Mutter zu ihrem Manne, der schon im Bette liegt, „du hast nichts dagegen, daß Trinelli die Nacht mit dem Herrn Obersten schläft?“ – „In Gottes Namen,“ antwortet der Vater, „ich glaube, einem solchen Manne könnte ich auch meine Frau anvertrauen.“ – „Also schön,“ sagte die Mutter, „aber sei ein braves Mädchen und behalte deine Röcke an …“

Am andern Morgen stand Trinelli jungfräulich wieder auf. Der Fremde hatte sie geachtet. Sie brachte das Bett in Ordnung, bereitete Kaffee und holte Sahne für ihren Nachtgenossen. Nachdem sie mit ihm auf dem Bette sitzend gefrühstückt hatte, schnitt sie ein Stückchen Stoff aus ihrem Brustlatze heraus und sagte: „Hier, behalte das zum Andenken an eine glückliche Nacht, die ich nie vergessen werde. Warum

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_240.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)