Seite:Ueber die Liebe 251.jpg

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Eine Geliebte, die man drei Jahre lang begehrt hat, ist wirklich eine Geliebte in der ganzen Macht dieses Wortes. Nur mit Zittern naht man ihr, und den Don Juans sei ins Ohr gesagt: „Wer zittert, langweilt sich nicht.“ Die Freuden der Liebe stehen immer in einem gewissen Verhältnis zur Furcht.

Das Unglück der Unbeständigkeit ist die Langeweile, das Unglück der Liebe aus Leidenschaft die Verzweiflung und der Tod. Die Verzweiflung aus Liebe kennt man; man redet viel von ihr. Niemand aber achtet auf die blasierten Wüstlinge, die vor Langeweile umkommen und von denen es in Paris wimmelt.

„Die Liebe drückt mehr Menschen die Pistole in die Hand, als die Langeweile.“ – Das will ich glauben. Die Langeweile raubt einem alles, selbst den Mut zum Selbstmord.

Es gibt Charaktere, die nur in der Abwechslung das Glück finden. Aber ein Mensch, der den Champagner himmelhoch über den Bordeaux stellt, gesteht eigentlich nur mit mehr oder weniger Beredsamkeit: „Ich liebe den Sekt mehr.“

Beide Weine haben ihre Liebhaber und beide Parteien haben recht, wenn sie sich selbst nur gut kennen und wenn sie nach dem Glücke trachten, das ihren Organen und Gewohnheiten am besten entspricht. Den Anhängern der Abwechslung schadet es aber auf jeden Fall, wenn die Schar der Dummen aus Mangel an Mut auf ihre Seite tritt.

Schließlich hat jeder Mensch, wenn er sich nur die Mühe gibt, sich selbst zu erforschen, sein Schönheitsideal, und mir kommt es immer lächerlich vor, seinen Nächsten bekehren zu wollen.


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_251.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)