Seite:Ueber die Liebe 296.jpg

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88.

Festigkeit im Charakter erwirbt man, wenn man den Einfluß anderer auf sich selbst erfahren hat, also durch äußere Einwirkung.


89.

Wollen heißt den Mut haben, sich einer Unannehmlichkeit auszusetzen. Sich derartig aussetzen, heißt den Zufall versuchen, also spielen.

Es gibt Soldaten, die ohne das Spiel nicht leben können, die daher im Familienleben unerträglich sind.


90.

Der uns angeborene Nachahmungstrieb ist daran schuld, daß wir die Leidenschaften unserer Eltern annehmen, selbst wenn diese Leidenschaften unser eigenes Dasein vergiftet haben.


91.

Vom sechsten Jahre ab gewöhnen wir uns daran, das Glück auf dem gleichen Wege zu suchen, wie unsere Eltern.


92.
Orcha, 13. August 1812.

Leben, das heißt das Leben fühlen, heißt starke Empfindungen haben. Da jedoch die Wirkung dieser Kraft für jedes Individuum verschieden ist, so ist das, was für den einen Menschen zu stark ist, gerade soviel, als ein anderer zu seiner Anregung braucht, zum Beispiel das Gefühl, im feindlichen Feuer von den Geschossen verschont zu bleiben, das Gefühl, tief nach Rußland zur Verfolgung jener Barbaren einzudringen. Ein Gleiches gilt von der Tragödie Racines und Shakespeares.



Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_296.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)