Seite:Ueber die Liebe 318.jpg

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läßt. Ihr Gatte hat im besten Falle den niedrigsten sinnlichen Genuß, der andere das köstlichste und lebendigste Glück der Welt.


152.

Während sich ihr eifersüchtiger Liebhaber in Verdruß, Habgier, Haß und vergifteter kalter Leidenschaft verzehrt, verbringe ich, obgleich sie mich aus Mißtrauen schlecht behandelt, eine glückliche Nacht und träume von ihr.


153.

Wie oft habe ich bei allem meinen Mut ausgerufen: „Wenn mir jemand eine Kugel durch den Kopf schösse, würde ich mich im Sterben, wenn ich noch Zeit dazu hätte, bei ihm bedanken!“ In der Liebe hat man nur Mut, wenn man schon nicht mehr recht liebt.


154.

Alviza bezeichnet es als einen unverzeihlichen Mangel an Zartgefühl, Briefe, in denen man von Liebe redet, an eine angebetete Frau zu richten, die einem unter zärtlichen Blicken schwört, daß sie uns nie wird lieben können.


155.

Beständigkeit nach dem Siege läßt sich höchstens danach vorausbestimmen, in welchem Grade man sie trotz aller Zweifel, aller Eifersucht und aller Lächerlichkeiten vor der Hingabe hatte.


156.

In der Liebe zweifelt man oft an Dingen, an die man fest glaubt. In allen anderen Leidenschaften hegt man keine Zweifel an dem, was man einmal für bewiesen nimmt.



Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_318.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)