Seite:Ueber die Liebe 333.jpg

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verheiratet worden ist; jetzt müsse sie mit allen Mitteln ihre Liebe für einen Mann begünstigen, den sie erwählt habe und den sie anbete; sie müsse ihren Gatten überreden, Weilberg unter irgend einem Vorwande in sein Haus aufzunehmen. Wenn sie ihn nicht ohne Unterlaß um sich habe, drohe sie, ihn in seiner Wohnung aufzusuchen.

Einfältig wie die Mutter ist, glaubt sie das und bringt dem Schwiegersohn ganz vorzüglich bei, Weilberg könne gar nicht wo anders, als in seinem Hause wohnen. Karl bittet ihn nun unaufhörlich, die Mutter ist ebenfalls so voll von Höflichkeit und Zuvorkommen, daß der arme junge Mann, der nicht weiß, was man von ihm will und der vor allem vermeiden möchte, unfreundlich gegen so gastfreie Menschen zu sein, nicht nein zu sagen wagt.

Tränen kommen bei Frauen, wie Sie wissen, immer nach Bedarf. Eines Tages bin ich allein bei Felicie; da fängt sie an zu weinen, erfaßt meine Hand und schluchzt: „O, bester Goncelin, Ihre hellsehende Freundschaft hat mein Herz durchschaut. Früher standen Sie sich gut mit Weilberg; seit unserer Reise ist das anders; Sie scheinen ihn zu hassen. (Das schien gar nicht so: ich wußte, woran ich war.) Ach, mein Freund, früher war ich nicht glücklich … Erst, seitdem … Wenn Sie eine Ahnung hätten, wie barbarisch sich Karl auf der Reise benommen hat! … Wenn Sie Gustav besser kennten … Wenn Sie Gustavs rührende Fürsorge, seine zarten Rücksichten gesehen hätten! … Konnte ich da widerstehen? … Wenn Sie wüßten, welche feurige Seele, welche wilden Leidenschaften dieser scheinbar so kalte Mensch birgt! … Nein,

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_333.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)