Seite:Ueber die Liebe V 022.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Kinder, wofür ihm zum Danke die Hörner aufgesetzt werden; er ist vielleicht ein notwendiges Übel, aber eben nur ein Übel, und die Ehe ist fast etwas wider Scham und gute Sitte. So baut sich auf dem Ehebruch eine zweite „ideale“ Ehe auf, und dieselben Gesetze, die in der rechtmäßigen Ehe als Barbarei und Grausamkeit erscheinen, wie die eheliche Treue, werden in dieser „freien“ Ehe zur schroffsten Pflicht erhoben. Eine „arme Geliebte nach zehnjährigen vertrauten Beziehungen verlassen“, ist eine Feigheit, die von der Gesellschaft gebrandmarkt werden sollte, und „mit Rührung“ sieht Stendhal in Florenz in der Oper ein Beispiel der „ewigen Liebe“. Bei einem Eheverhältnis scheint ihm dergleichen nur mit Kunstgriffen, Erweckung der Eifersucht und des Ehrgeizes, möglich. Somit wäre allen Eheleuten, die ihre Frauen lieben wollen, anzuraten, sich von ihnen scheiden zu lassen und mit ihnen ein Verhältnis anzufangen …

Man sieht, wohin solche einseitigen Anschauungen führen. Dem Rokokophilosophen und Romantiker Beyle war es noch nicht gegeben, jenen Schritt weiter zu tun, den Nietzsche, der doch auch ein großer „Immoralist“ war, über ihn hinaustat, indem er die Ehe wieder als Sakrament seines Übermenschenkults einsetzte und jenen Dualismus Stendhals zur höheren Einheit der Liebesehe hinaufführte. Man muß ihm freilich das zu gute halten, daß es zu seiner Zeit in Frankreich noch keine Ehescheidung gab und in seinem geliebten Italien noch heute keine gibt, weil sie dem Volksinstinkt zuwiderläuft. Beyle selbst hat in seinem Buche über die Liebe verständige Forderungen über die Ehescheidung aufgestellt, die inzwischen auch

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite XXII. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_V_022.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)