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Maiklage.


Leuchtet schon die Frühlingssonne
Ueber See und Aue hin?
Hat zur Stätte stiller Wonne
Sich gewölbt der Zweige Grün?

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Ach! die Gute, die ich meine,

Schenkt mir keinen Maienstral,
Wandelt nicht im Blüthenhaine,
Ruhet nicht im Quellenthal.

Ja! es waren schönre Zeiten,

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Als in buntbekränzten Reihn

Hirten mit den süßen Bräuten
Walleten zum Opferhain;
Als die Jungfrau, Krüge tragend,
Oft zum kühlen Brunnen trat,

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Und der Wandrer, sehnlich fragend,

Sie um Trunk und Liebe bat.

Ach! das Toben roher Stürme
Riß den goldnen Frühling fort.
Schlösser stiegen auf und Thürme,

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Traurig saß die Jungfrau dort;

Lauschte nächtlichem Gesange,
Sah hinab in’s Schlachtgewühl,
Sah es, wie im Waffendrange
Ihr getreuer Streiter fiel.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 015. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0015.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)