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Roland gedacht’ im Herzen sein:

„Was ist das für ein Schrecken!
Soll ich den lieben Vater mein
Im besten Schlaf erwecken?
Es wachet ja sein gutes Pferd,

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Es wacht sein Speer, sein Schild und Schwerdt,

Es wacht Roland, der junge.“

Roland das Schwerdt zur Seite band,
Herrn Milons starke Waffen,
Die Lanze nahm er in die Hand

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Und thät den Schild aufraffen.

Herrn Milons Roß bestieg er dann
Und ritt erst sachte durch den Tann,
Den Vater nicht zu wecken.

Und als er kam zur Felsenwand,

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Da sprach der Ries’ mit Lachen:

„Was will doch dieser kleine Fant
Auf solchem Rosse machen?
Sein Schwerdt ist zwier so lang als er,
Vom Rosse zieht ihn schier der Speer,

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Der Schild will ihn erdrücken.“


Jung Roland rief: „Wohlauf zum Streit!
Dich reuet noch dein Necken.
Hab’ ich die Tartsche lang und breit,
Kann sie mich besser decken;

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Ein kleiner Mann, ein großes Pferd,

Ein kurzer Arm, ein langes Schwerdt,
Muß eins dem andern helfen.“

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0301.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)