Seite:Ulmische Zustände 37.png

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Man erwarte jedoch nicht, daß keine falsche Maaßregel ergriffen, keine Gewalt, kein Unrecht, keine Begünstigung vorkomme.

Die frühern einfachen Zustände wurden eher durch einen Naturlaut, eine Naturmahnung begriffen; die verwickeltern Verhältnisse unserer Tage werden mehr durch den Verstand geordnet, der, wenn er einmal in Irrthum gerathen, um seiner Consequenz willen sich nicht leicht aus demselben loswindet; überdieß lassen alle Gesetze und Anordnungen bei der Anwendung einen Spielraum übrig, innerhalb dessen Mangel an Einsicht, böser Wille, Begünstigung u. s. w. genug schaden können.


§. 32.

Endlich unsere Gemeindeverfassung, wie ist sie in hohem Grade volksthümlich geworden: den bürgerlichen Obrigkeiten ist die selbstständige Verwaltung des Gemeindevermögens anvertraut, (die Grundsätze dieser Verwaltung, welche Kaiser Joseph der Reichsstadt vorgezeichnet hat, sind fast wörtlich in unser Verwaltungs-Edict übergegangen) den Gemeindebehörden steht die Aufnahme in ihre Genossenschaft, eine Polizeigewalt und ein Richteramt zu; den Bürger-Ausschüssen ist die Einsicht und Prüfung der Gemeinde-Rechnungen zur besondern Pflicht gemacht, und sämmtlichen Bürgern ist das Recht gegeben, ihre unmittelbare Obrigkeit selbst zu wählen.

Wie hätte sich der ulmische freie Reichsbürger erhoben gefühlt, wenn er ein solches Wahlrecht hätte üben dürfen.

Woher kommt nun aber die Gleichgültigkeit und Theilnahmlosigkeit bei unsern Gemeinde-Wahlen? Zuvörderst wohl daher, weil sie allzuoft – in jedem Jahre mehrere Male – vorkommen, und dadurch alltäglich werden; vorzüglich aber auch daher, weil sie in der That schwer sind.

Bei jeder Wahl zu einem Staats-Amte treten Bewerber auf: hiedurch ist ein Anhaltspunkt gegeben, nicht bei den Gemeindewahlen, bei welchen eine Bewerbung bisher nicht üblich gewesen. Bedenke man vollends die Zahl der Wählbaren: nehmen wir an, daß unsere Stadt 2000 Bürger habe, und daß auch nur 300 bis 400 davon durch Bildung, Kenntnisse, äußere Lage etc. sich zu Stadträthen eignen, welchem von diesen mehrern Hunderten soll man seine Stimme geben, für die einzige, oder etliche Stellen, welche gerade zu besetzen sind?

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Christoph Leonhard Wolbach: Ulmische Zustände. Ernst Nübling, Ulm 1846, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ulmische_Zust%C3%A4nde_37.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)