Seite:Ulmische Zustände 38.png

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Diese Verlegenheit hat zu öffentlichen Wahlvorschlägen geführt; sie kamen anfänglich von vielen Seiten und giengen auf Mehrere.

Eine solche Weise vorzuschlagen war gewiß zweckmäßig; sie gab für die Wahl aus einer nicht leicht zu übersehenden und nicht näher bekannten Menge doch eine Richtung und ließ immer noch eine Auswahl offen.

Als aber später für die zu besetzende Stelle jeweilen nur Ein Bürger benannt, und dieser Eine durch eine Menge von Unterschriften, trotz der Versicherungen des Gegentheils, gewissermaaßen aufgedrungen werden wollte, kam das Vorschlagen in Mißachtung und wurde der Stimmgebung wahrhaft schädlich; von mehrern hundert Bürgern nur einen Einzigen als geeignet zu empfehlen, erschien als Partheisache; und so kam es, daß ein großer Theil der Bürger gar nicht mehr zum Abstimmen zu bringen war; er betrachtete solche Vorschläge, die gewöhnlich von Erfolg waren, als Eingriff in die Wahlfreiheit.

Es wäre daher gewiß wünschenswerth, wenn jene frühere Weise vorzuschlagen wieder in Uebung käme.

Aber wen soll man wählen?

Die Ansicht wird immer allgemeiner: Keinen, auf Lebensdauer! d. h. mit andern Worten: die Wahl soll durchaus offen bleiben, damit, wenn der Gewählte unserm Vertrauen und unsern Absichten nicht mehr entspräche, wir nicht an ihn gebunden seyen. Diese Vorsicht hat ihren guten Grund.

Die Nichtlebenslänglichkeit ist aber noch keine Eigenschaft, die zu irgend einer Verrichtung tüchtig machen würde; man richtete daher sein Augenmerk auf solche Bürger, von welchen man voraussehen durfte, daß sie verständig, rechtschaffen, unabhängig und für das Wohl der Gemeinde wahrhaft besorgt seyen. Allein neben diesen allgemeinen Eigenschaften sollten doch auch diejenigen Verrichtungen berücksichtigt werden, welche dem Gewählten in Folge seines neuen Amts zufallen. Der Stadtrath hat ein Richteramt, eine große Verwaltung, ein bedeutendes Rechnungswesen; die Behandlung der Pfandgeschäfte und die Führung der Vertragsprotokolle gehen ganz auf seine Gefahr und Verantwortung; die Kenntniß der Gesetze überhaupt, das Nachlesen der Akten etc. sind in sehr vielen Fällen unerläßlich.

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Christoph Leonhard Wolbach: Ulmische Zustände. Ernst Nübling, Ulm 1846, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ulmische_Zust%C3%A4nde_38.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)