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Streit, da die jungen Burschen des Ortes sich über den neuen Tänzer ärgerten, und vom Streit zur Schlägerei. Die Burschen wollten nämlich den Fremden hinauswerfen. Der aber zeigte bei der Schlägerei eine furchtbare Kraft, immer zwei und zwei der Burschen erfasste er und warf sie zur Thür hinaus, so dass er zuletzt mit den Tänzerinnen allein in der Schenke blieb. Da war es denn nur natürlich, dass er wegen seiner ungeheuren Kraft in hohe Achtung kam. Kurze Zeit nach diesem Vorgange verliess er das Dorf und blieb einige Jahre in der Fremde. Es war nun aber, als ob mit der Abwesenheit des Fremden aller Segen vom Dorfe gewichen sei, viel Krankheiten trafen Menschen und Vieh und Niemand war da, der helfen konnte. Da begann man sich wieder nach dem Fremden zu sehnen und man sprach fortan nur noch von dem Kraĺ[WS 1]. Niemand aber wusste oder konnte erfahren, wo derselbe weile. Eines Tages trug es sich zu, dass der Fremde wieder erschien; wo nun hinfort in dem Dorfe oder in der Nachbarschaft eine Krankheit ausbrach, holte man sofort den Kraĺ und der heilte denn auch Menschen und Thiere. Er bekam für jede Heilung ein Stück Geld und gelang es ihm bald, eine tüchtige Summe zu ersparen. Der Fremde heilte nicht nur Krankheiten, sondern er machte sich auch dadurch bei den Leuten beliebt, dass er ihnen zum Tanze, besonders bei dem Erntefeste, aufspielte. So wuchs sein Ansehen und in Folge dessen kam es dahin, dass man auch Streitigkeiten von dem Kraĺ schlichten liess. Nun hatte er vollauf zu thun und bald bildete sich ein Kreis von Männern und Jünglingen um ihn, welche ihn auf seinen Streifereien, die oft acht bis vierzehn Tage währten, zu begleiten pflegten.

Einstmals fühlte sich ein Bauer durch den Schiedsspruch des Kraĺ gekränkt, er und seine Freunde lauerten deshalb dem Gefolge desselben, als dieser zufällig nicht bei seinen Getreuen war, auf und schlugen diese in die Flucht. Als der Kraĺ dies erfuhr, ward er sehr zornig; er drohte, er werde sich eine Burg bauen und fortan das Land als König beherrschen. Schnell sammelte er seine Anhänger, deren Zahl stets gewachsen war, um sich und zog mit ihnen dem Bauer

Anmerkungen (Wikisource)

  1. „Kraĺ, ten, der König, auch: Eigenname, […]“, in: Johann Georg Zwahr: Niederlausitz-wendisch-deutsches Handwörterbuch. Herausgegeben von J. C. F. Zwahr. Carl Friedrich Säbisch, Spremberg 1847, S. 168 (Digitalisat). Zwahr und Veckenstedt verwenden ein mit Punkt überschriebenen Kleinbuchstaben L, den es im Unicode-Zeichensatz nicht gibt. Das hier verwendete optische Ersatzzeichen des kleinen L mit Akut (ĺ) fand auch im wisschenschaftlichen Wörterbuch-Digitalisierungsprojekt des Sorbischen Instituts Verwendung (→ dolnoserbski.de), semantisch ist nach heutigen Maßstäben der Kleinbuchstabe L mit Hatschek (ľ) das Zeichen der Wahl. In der modernen niedersorbischen Form wird „kral“ ohne Sonderzeichen geschrieben.