Seite:Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen Teil 1 1759.pdf/56

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wegen dieser Manieren anwendet, der sey übrigens unbekümmert, ob das, was er spielet, eben gesungen werden könne oder nicht.

 §. 9.  Indessen muß man dennoch vor allen Dingen sich hüten, daß man auch mit unserer Art von Manieren nicht zu verschwenderisch umgehe. Man betrachte sie als Zierrathen, womit man das beste Gebäude überhäufen und als das Gewürtze, womit man die besten Speisen verderben kan. Viele Noten, indem sie von keiner Erheblichkeit sind, müssen von ihnen verschont bleiben; viele Noten, welche an sich schimmernd genug sind, leiden sie ebenfalls nicht, weil sie nur die Wichtigkeit und Einfalt solcher Noten erheben und von andern unterscheiden sollen. Widrigenfalls würde ich denselben Fehler begehen, in den ein Redner fällt, welcher auf jedes Wort einen nachdrücklichen Accent legen wollte; alles würde einerley und folglich undeutlich werden.

 §. 10.  Wir werden aus der Folge ersehen, daß mancher Fall mehr als eine Art von Manieren erlaubet; hier brauche man den Vortheil der Veränderung; man bringe bald eine schmeichelnde bald eine schimmernde Manier an, oder man trage zur Abwechselung manchmal die Noten, in so ferne sie es erlauben, gantz schlecht, ohne Manier, doch nach den Regeln des guten Vortrags, wovon in dem folgenden Hauptstücke gehandelt werden wird, und nach dem wahren Affect vor.

 §. 11.  Es ist schwer, den Sitz jeder Manier so gar genau zu bestimmen, indem jeder Componist bey seinen Erfindungen, ohne daß er dem guten Geschmacke Gewalt thut, die Freyheit hat, an den meisten Oertern eine ihm beliebige Manier darbey zu setzen. Wir begnügen uns, durch einige fest bestimmte Sätze und Exempel, wenigstens durch Anführung der Unmöglichkeit einer anzubringenden Manier unsere Leser hierinnen zu unterrichten;