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Ulrich Vetsch: Schweiz und Vorarlberg

Weise auf die Entwicklung der kommenden Generationen abstellte. Damals sprach sich die grosse royalistische Partei des Kanton Neuenburg, mindestens 10,000 Bürger umfassend, gegen die Absetzung des Königs von Preussen als Fürst von Neuenburg aus; hat man heute noch Spuren von jener Opposition im Volke? Im Gegenteil, die Nachkommen der Royalisten von annodazumal gerieren sich heute als die überzeugtesten Demokraten. Als Beispiel möchte ich Ihnen Herrn Philipp Godet citieren, dessen Vater bekanntlich Prinzenerzieher am preussischen Königshofe war; er ist heute der ärgste Rufer im Streit, um den Vorarlbergern, die wie wir keinen Adel kennen, – die Appenzeller haben seinerzeit gründliche Arbeit getan – jegliche demokratische Gesinnung abzuschätzen. Ich wage zu behaupten, dass Herr Godet die Vorarlberger nicht kennt; sonst wüsste er, dass die Walsertaler, Abkommen unserer Walliser, im Jahre 1891, anlässlich des 600jährigen Jubiläums der schweizerischen Eidgenossenschaft sich in Schwyz mit der ausdrücklichen Erklärung vertreten liessen, dass auch sie Schweizer seien. Und anlässlich der denkwürdigen Volksabstimmung vom 11. Mai d. J. haben dieselben Walsertaler ihre Anhänglichkeit und ihren Glauben an die Schweiz in rührendster Weise bekundet: Mit 103 gegen 60 Stimmen sprachen sie sich für den Anschluss an die Schweiz aus, obwohl sie, die zum deutschen Zollgebiet gehören und bezüglich der Lebensmittelversorgung vollständig auf das Entgegenkommen der bayerischen Nachbarn angewiesen sind, von diesen mit Aushungerung bedroht wurden.[1] Und solchen

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Ulrich Vetsch: Schweiz und Vorarlberg. Fehr'sche Buchhandlung, St. Gallen 1920, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vetsch_Ulrich_Schweiz_und_Vorarlberg_Vortrag_Neue_Helvetischen_Gesellschaft_1919.pdf/21&oldid=- (Version vom 18.4.2023)
  1. Es handelt sich hier um das so genannte kleine Walsertal, über dessen demokratische Einrichtungen die Broschüre „Mittelberg“ erschöpfende Auskunft gibt. Uebrigens gibt es ein überaus schlüssiges Dokument in Bezug auf die demokratische Gesinnung der Vorarlberger: ihre Verfassung. Diese ist nach schweizerischem Muster aufgebaut und kennt nicht nur allgemeine, geheime und direkte Volkswahlen, die nach dem Proporzsystem vorzunehmen sind (§ 7), sondern auch das fakultative Gesetzes-Referendum (§ 4) und die Initiative, hier Recht des Volksbegehrens geheissen (§ 6).