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von Eriwan nach Nakhitschewan. Im Bazar geht es lebhaft zu. Die Industrie, durch welche die Einwohner von Choï berühmt sind, besteht in dem Anfertigen von kupfernen Hausgeräten, die sie in den verschiedensten Formen und mit gutem Geschmack herzustellen wissen; auch das Material scheint gut zu sein.

Die Bevölkerung Choïs beläuft sich auf 20- bis 30000 Seelen. Die Mehrzahl der Anwohner ist tartarischen Ursprunges; das türkische Element gilt daselbst für sehr fanatisch.

Da Choï in der Zollgrenze liegt, waren wir sehr erstaunt, von keinem Zollbeamten angehalten zu werden; übrigens hatten wir auch noch unsere Quittung von dem Zollamte in Dschulfa, und ohne Sorgen legten wir uns zur Ruhe.[1] Nachdem wir des Morgens um drei Uhr aufgestanden waren, warteten wir vergeblich auf unsere neuen Tscherwadare, die aber erst um sechs Uhr zu erscheinen geruhten. Das Gepäck war ziemlich rasch verladen, und wir brachen auf, wobei wir unsern Weg über den schon zu dieser Zeit belebten Marktplatz nahmen.

Als wir an dem Thore ankamen, hielt man uns im Namen des Zollamtes fest, indem man uns mitteilte, daß die Quittung von Dschulfa für die Herren von Choï keinen Wert habe. Aber man ließ uns nicht in die Stadt zurückkehren, damit etwa unser Gepäck untersucht werde, nein, unter Schreien und Gestikulieren hielt man uns einfach auf dem Platze fest. Im ganzen handelte es sich auch hier nur um ein Trinkgeld, und die ganze Sache hätte sich schnell erledigen lassen, wenn unser verwünschter Sergius, der zu dieser Stunde schon betrunken war, die Leute nicht insultiert hätte.

Nathanael ging zum Zollamt, kam aber nach einer Stunde zurück, ohne etwas ausgerichtet zu haben. Darauf ging ich mit ihm zum Gouverneur, während wir aber nicht versäumten, Hyvernat zur Bewachung des Gepäckes zurückzulassen. Freilich hatten wir Tags vorher den Fehler begangen, dem Gouverneur keinen Besuch zu machen. Ich entschuldigte uns, so gut es ging, und brachte nach einigen allgemeinen Redensarten unsere Sache vor. Der Gouverneur spricht französisch, hat lange in Europa gelebt und scheint sich in Choï tötlich zu langweilen; auch kennt er den Gesandten Nazar-Agha, nennt ihn seinen Freund, scheint aber sehr eifersüchtig auf ihn zu sein.

Ich trug ihm unsern Fall vor, worauf er einen Mann zum Zollamte schickte. Aber dort giebt man diesem den Bescheid, daß die Sache den Gouverneur nichts angehe, und daß wir für jedes Gepäckstück eine türkische Lire zu zahlen hätten, wenn wir unser Gepäck nicht öffnen wollten. Der Gouverneur machte ein ärgerliches Gesicht und schickte uns zum Zollamte zurück. Dort wandte ich von neuem den Brief Nazar-Aghas an, aber er versetzte den Chef des Zollamtes in noch

  1. Es ist interessant zu beobachten, wie die Orientalen den Reisenden rupfen, sobald sie merken, daß er mit ihren Verhältnissen unbekannt ist. Unsere Zabtiehs hatten uns zwei Tage begleitet; zwanzig Piaster für jeden wäre ein gutes Trinkgeld gewesen. In seiner Großmut will Nathanael uns veranlassen, jedem eine türkische Lire zu geben. Durch seine Schilderungen gerührt, wollen wir jedem eine halbe Lire geben; aber die Zabtiehs verweigern die Annahme und verlangen mehr, da sie offenbar unsere Unkenntnis benutzen wollten. Später wußten die Zabtiehs, denen wir auch nur einen Piaster über die Summe hinaus gaben, indem wir zugleich unsere Großmut zeigten, gar nicht, wie sie uns danken sollten.
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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/103&oldid=- (Version vom 1.8.2018)