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schlechtere Laune. Er erklärt uns, daß er unser Gepäck untersuchen lasse, ob wir unsere Reisesäcke öffneten oder nicht, ihm gebühre von jedem beladenen Pferd eine Lire. Nichts war im stande, diesen einfachen Beamten von seiner Forderung abzubringen. Schließlich entschlossen wir uns, zu dem einzigen Mittel zu greifen: wir zahlten drei türkische Lire, und der Chef des Zollamtes war so gnädig, uns den Betrag für das vierte Pferd bezw. Gepäck zu erlassen. Ist dies nicht typisch?

Ich kann nichts weiter erzählen, aber ich habe meine guten Gründe, zu vermuten, daß hernach zwischen dem Gouverneur und dem Zollchef das Ganze dadurch endigte, daß sich die beiden unsere drei Lire brüderlich teilten. Jetzt entstand für uns eine andere Schwierigkeit: Dieses Kommen und Gehen hatte uns bis halb zehn Uhr des Morgens aufgehalten, und nun wollten die Tscherwadare nicht mehr an demselben Tage abreisen. wir parlamentierten, und um dies zu beendigen, trieben wir selbst unsere Lastpferde an.

Während wir noch unsere Zollangelegenheit regelten, setzte sich die Karawane nach Kerbela in Marsch. Die Chefs der Sektionen tragen Fahnen und rufen ihre Gesellschaft zusammen. Die Menge stürzt herzu, um den glücklichen Pilgern, die zu den Gräbern der heiligen Muselmänner reisen, die Hand zu küssen. Keine Unordnung und kein Schreien ist zu merken; in großem Ernste beginnt der Abmarsch.

Ich war erstaunt, eine so große Menge Weiber bei der Karawane zu finden; noch größer aber wurde mein Erstaunen, als ich vernahm, daß eine große Zahl derselben die Reise ohne ihre Ehemänner machte, indem sie sich der Sorge eines „provisorischen Ehemannes“ anvertrauten. Ich erzähle dies, ohne für die Wahrheit der Thatsache eine Garantie zu übernehmen; aber da ernsthafte Personen es mir versichert haben, fand ich es glaublich. Wir hätten somit der Eigenart der persischen Sitten eine neue hinzuzufügen –

Der Ausgangsweg von Choï ist eine breite, mit Bäumen bepflanzte Avenue, die ungefähr dreiviertel Stunden lang ist. Der Regel gemäß ist alles in Unordnung, weshalb auch die Brückchen, die mit großer Sorgfalt erbaut worden sind, einzustürzen drohen. Die Avenue endet am Kotur-Tschaï[WS 1] , den eine große Brücke überspannt, die aber auch bald zusammenbrechen wird. Niemand bedient sich ihrer, sondern alle durchwaten den Fluß. Unsere Leute erzählten uns solche Räubergeschichten, daß wir, um dieselben zu beendigen, mit großer Feierlichkeit unsere Flinten luden, was sie ein wenig zu beruhigen schien. Ein Mann aus Dilman, der uns vorbeireisen sah, stellte sich unter unsern Schutz; er behauptete, vor vierzehn Tagen ausgeplündert worden zu sein. Ungefähr eine Stunde lang marschierten wir in einer wellenförmigen Ebene, die gegen Osten keinen bestimmten Charakter hat, aber im Westen von den Bergen begrenzt wird, die die Grenze zwischen der Türkei und Persien bilden.

Der Pfad führte am Fuße eines Systems von Hügeln hin, die beinahe alle aus Salzstein zusammengesetzt sind. Zu unserem großen Erstaunen fanden wir an der Südseite des höchsten Hügels eine Quelle mit süßem Wasser. Wir machten dort Halt, um etwas zu essen, während die Lastpferde ihre Reise fortsetzten. Plötzlich bemerkte Nathanael von weitem zwei Reiter, und voll Ungeduld eilte er auf dieselben los, uns die Sorge für das Pferd mit dem Mundvorrat überlassend. Sergius bestieg dieses Pferd und wollte an derselben Stelle einen kleinen schlammigen Fluß durchreiten,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Kisil-Tschaï, korrigiert laut Berichtigung.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/104&oldid=- (Version vom 1.8.2018)