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Die Willkür ist dieselbe bei der Erhebung der herrschaftlichen Steuern. Mancher dieser Herren, die ich mit Namen anführen kann, erpreßt, um dem Schah 3000 Kran[1] abliefern zu können, von seinen Untergebenen deren wenigstens 10000. Die Ernteabgaben bieten auch Gelegenheit, die armen Leute auf unerhörte Weise zu belästigen. Oft muß das gedroschene Getreide wochenlang auf dem Felde bleiben, ehe der Einnehmer kommt, den Zehnten davon zu nehmen. Während dieser Zeit ist es auf das strengste verboten, auch nur das Geringste von dem Getreide wegzunehmen. Man kann leicht erraten, welche Unannehmlichkeiten damit für die armen Leute verbunden sind. Die Kopfsteuer besteht in einer Abgabe von ungefähr fünf Kran für jeden und in der Leistung von drei Tagen Frondienst.

Die königlichen Beamten werden nicht mit klingender Münze bezahlt, sondern mit Anweisungen auf die Provinzen. Unter diesen Anweisungen beziehen sich einige auf das Land, andere auf die Rechnungen der Dörfer oder der Bezirke. Die königlichen Verwalter stellen die Steuerbeträge für jedes Dorf und jede Art der Steuern fest, indem sie für jeden Gegenstand eine besondere Aufstellung in zwei Exemplaren anfertigen. Diese Aufstellungen werden endgültig festgesetzt durch die Reys oder Bürgermeister der Orte und von ihnen und den angesehensten Einwohnern unterschrieben, worauf sie sodann zur Rechnungskammer gesandt werden. Hier kommen sie wieder heraus als wirkliche Anweisungen, die an den Vorzeiger zu bezahlen sind. Den Inhabern liegt nun die Sorge ob, sich die angewiesene Summe von dem betreffenden Dorfe zu verschaffen. Was über das Einkommen der Beamten hinausgeht, wird an die königliche Schatzkammer abgeführt. Es ist leicht begreiflich, zu welch unerhörten Mißbräuchen ein solches System Veranlassung geben muß, wo jeder Beamte, mit seinem Billet ausgerüstet, sich selbst bezahlt machen muß. Es steht ihm völlig frei, zu seinem Einkommen noch mehr von den armen Leuten zu erpressen; denn weil jeder in der ganzen Stufenleiter der Verwaltung nach Möglichkeit viel zu erpressen sucht, kann keine Reklamation etwas helfen, sondern wird spurlos durch die gleichartigen Interessen der Beamten unterdrückt.

Ich glaube, daß dieses System, wie es schon Chardin (Band V. Kapt. 8) schildert, heute noch ohne nennenswerte Änderungen im Schwunge ist. Ich hatte Gelegenheit, diese Stelle einem Unterthan Sr. Majestät des Schah vorzulesen, der nichts an der Schilderung zu tadeln fand.

Die Unbeständigkeit der Verwaltungsbeamten, der vollständige Mangel jedweder Regierungstradition sind in erster Linie die Hauptquelle dieser angeführten Übelstände. Der höchste Beamte kann seinen Kopf verlieren oder doch wenigstens plötzlich ins Elend geschickt werden. Vor der Thronbesteigung wird der Schah gewöhnlich von seinem Vorgänger argwöhnisch bewacht, von den Regierungsangelegenheiten fern gehalten und ihm so keine Gelegenheit geboten, sich genügende Kenntnisse für seinen Beruf anzueignen. Ist er nun aber Herrscher geworden, so wird er leider seinen Lieblingsweibern zu sehr überlassen, deren zerbrechliches Glück stets eine Reihe von Ernennungen neuer Beamten im Gefolge hat. Oft genug haben diese neuen Beamten kein anderes Verdienst aufzuweisen als das, daß sie mit der Favoritin verwandt sind. Fällt die Favoritin in Ungnade, so verlieren diese Beamten

  1. Ein Kran soll ein Frank wert sein, gilt gewöhnlich aber nur 70–80 Centimes.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/117&oldid=- (Version vom 1.8.2018)