Seite:Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen.pdf/118

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ihre Stellungen ohne jedwede Entschädigung. Jeder sucht nun von seiner Glückszeit, deren Dauer oft sehr beschränkt ist, wenigstens so viel Gewinn zu ziehen, daß er sich ein Vermögen zusammenscharrt. Diese Sorge erklärt auch zugleich den Eifer, mit dem die Beamten überall, wo es geht, Trinkgelder zu erpressen suchen. Unsere Hindernisse bei dem Zollamt in Choï waren, wie schon erwähnt, derselben Art. Die hohen Beamten verkaufen alle Ämter; ein Sohn des Schah, der zur Zeit Kriegsminister war, trieb den Handel so weit, daß er die Stellen in der Armee an den Meistbietenden öffentlich verkaufte.

So geht es in gewöhnlichen Zeitläufen. Aber die Söhne des Schah, die von seinen verschiedenen Frauen und Kebsweibern herstammen, bilden ein neues Element der Zersetzung. Da ein jeder von ihnen hofft, entweder zum Throne oder doch zu einer einflußreichen Stellung zu gelangen, so benützen sie ihre Stellungen, um sich um jeden Preis einen großen Anhang zu verschaffen; daher kommt es auch, daß bei dem Tode des Schah die Thronfolge gewöhnlich erst durch blutige Kämpfe errungen werden muß. Das alte System, das darin bestand, die Prinzen der königlichen Familie beiseite zu schaffen, war zwar barbarisch, hatte aber für das Land doch eine praktische Seite.

Man merkt bald, daß kein bestimmter Grundsatz außer dem der Bereicherung die Verwaltung leitet. Jeder Beamte ist in irgend einer Weise in sein Amt eingedrungen ohne jede Vorbereitung, bloß durch Gunst. Von ernsthaften Verbesserungen im Lande kann deshalb gar keine Rede sein. Die schönsten Vorschläge überleben selten den, der sie entworfen hat, wenn man annehmen will, was aber selten zutrifft, daß sie im Ernste gemacht wurden und nicht, um im trüben zu fischen.

Nichts ist besser im stande die Schwäche der Regierung zu zeigen, als ihr Verhalten den Räubern gegenüber.

Ein kurdischer Brigant, Hasso, Anführer einer gut organisierten Räuberbande, hat vor einigen Jahren dem ganzen Gebiete von Urmia Brandschatzungen auferlegt. Die neunzehn Kanonen von Urmia waren in Kriegsbereitschaft, die ganze Armee von Aderbeidschan rückte vor; Hasso machte sich darüber lustig. Während seine Gesellen die Truppen des Schah schlugen, kam er ruhig nach Urmia, um seine Einkäufe zu machen. Als die persische Regierung des Kampfes müde war, gab sie diesem Hasso mit seiner gnädigen Einwilligung den Titel eines Oberst und eine jährliche Pension von 11000 Kran.

Kurze Zeit nachher verheerte ein anderer kurdischer Anführer, Scheikh Mohammed Abdullah[1] das ganze Gebiet von Urmia mit Feuer und Schwert und belagerte die Stadt. Mit ein wenig mehr Entschlossenheit wäre er Herr der Stadt geworden. Niemand war zum Widerstand vorbereitet und die Mutlosigkeit sehr groß. Ohne das mutige Vorgehen des Apostolischen Delegierten Clusel wäre die Stadt verloren gewesen. Aber Mohammedaner und Christen achteten den Delegierten wegen seiner Tugenden und seines Charakters so hoch, daß es ihm gelang, ihren Mut zu beleben, den Widerstand zu organisieren, wodurch den Truppen des Schah

  1. Die Expedition Abdullahs reicht bis 1880 hinauf. Er bewohnte eine unzugängliche Gegend in dem Lande von Soldus, wo die Wege derart waren, daß nach dem Volksglauben zwei Mann eine ganze Armee aufhalten konnten. Statt einen Raubzug in Eile zu unternehmen, belagerte er Urmia zwei Monate; dadurch gewannen die Perser Zeit, ihn zu schlagen.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/118&oldid=- (Version vom 1.8.2018)