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zur Ankunft Zeit genug zur Verfügung stand. Der Schah belohnte das Vorgehen Clusels, indem er ihn mit aller möglichen Pracht nach Teheran, der Residenz, schickte, worin bekanntlich die höchste persische Auszeichnung besteht.

Dergestalt ist die Schwäche der Regierung im Innern. Nach außen ist die politische Situation Persiens, aufgereizt durch die gegenteiligen Einflüsse Englands und Rußlands, sehr schwierig. Da England weiter entfernt ist als Rußland, ist es auch weniger zu fürchten. Gelingt es England aber, sich irgend ein Privilegium zu verschaffen, so zeigt gleich der russische Bär seine Tatzen, so daß es ihm gelingt, sich noch ein größeres anzueignen.

Zu der Zeit, als wir in Persien waren, war es England gelungen, den Karunfluß durch eine englische Schiffahrtgesellschaft befahren zu lassen. Darüber geriet Rußland in Zorn. Als 1889 der Schah den Zaren besuchte, wurde er wie ein Knecht empfangen, mit dem sein Herr unzufrieden ist. Das Ende vom Lied war, daß der Schah von dem Zaren gezwungen wurde, einen Vertrag zu unterzeichnen, wodurch Rußland der Besitz von Chorassan für die Zukunft zugesichert wurde. Wahrscheinlich hoffte Rußland auf Unruhen, die bei dem Tode Nafr-Eddins, der am 1. Mai 1896 durch die Kugel eines Meuchelmörders fiel, entstehen würden. Übrigens machen die Russen aus ihrem Vorhaben gar kein Geheimnis. Ein hoher Beamte sagte uns: „Wir müssen Chorassan haben als Operationszentrum gegen Indien; deshalb haben wir auch die Transkaspische Eisenbahn gegen die Grenze dieser Provinz hin gebaut; in vier Jahren werden wir Chorassan in Besitz nehmen.“ Im November 1890 wußten die Zeitungen zu melden, daß Rußland sich die Erlaubnis zu verschaffen gewußt habe, eine Eisenbahn von Rescht nach Teheran zu bauen. „Der Schah“, sagte uns derselbe Beamte, „ist nur noch ein Lieutenant des Zaren.“

Ungeachtet aller dieser Mißbrauche und trotz aller Schwächen der Regierung ist das Volk im allgemeinen ruhig. Eine lange Erfahrung hat ihm die Kenntnis verschafft, daß es nur seinen Tyrannen wechselt, wenn es unter eine andere Herrschaft kommt. Von dieser Seite hat die Regierung also nichts zu fürchten, weshalb sie sich auch um die Kritiken ihrer Thätigkeit nicht weiter kümmert. In den Kaffeehäusern werden alle möglichen Nachrichten verbreitet, und die Politiker beurteilen die Regierung mit dem größten Freimute. Vorausgesetzt, daß die Unterthanen sich ruhig ihre Steuern abzwicken lassen. kümmert sich die Regierung wenig um dieselben.

Das bare Geld ist selten, namentlich auf dem Lande. Der meiste Handel ist Tauschhandel, der durch die bekannte Zahlungsunfähigkeit hervorgerufen ist. Das wenige Bargeld geht nun auch noch ins Ausland, um die von dort eingeführten Waren zu bezahlen, da die Einfuhr die Ausfuhr bedeutend überwiegt.

Nun zu den Geldverleihern. Die Seltenheit des Bargeldes und die Unbeständigkeit der Bedingungen gestatten diesen Leuten, außerordentliche Zinsfüße zu verlangen. In dem Handel schwankt der Zinsfuß von 12 bis 24 Prozent, und über diese Bedingungen weiß kaum einer etwas zu sagen. Der eigentliche Wucher nach persischen Begriffen fängt erst bei dieser Grenze an und schwankt zwischen 24 und 60 Prozent, ohne die Zinseszinsen zu umfassen, die für sich allein mit größter Genauigkeit berechnet werden.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/119&oldid=- (Version vom 6.12.2021)