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Schwiegermutter als durch Zeichen oder durch die Vermittlung der Kinder. Niemals aber spricht sie mit ihrem Schwiegervater, wenn dieser es ihr nicht befiehlt; es giebt ganz greise Frauen, die niemals in ihrem Leben mit ihrem Schwiegervater gesprochen haben. Außer zu diesen zwei Personen spricht die junge Frau nur zu den Kindern der Familie und sonst zu keinem Menschen. Diese Gebräuche, die auffallend erscheinen, sollen in Nachstehendem etwas gerechtfertigt werden.

Die jungen Mädchen werden nämlich gewöhnlich im Alter von zwölf Jahren verheiratet. Die Missionäre kämpfen mit aller Macht gegen diesen Gebrauch, der aus mehreren Gründen für das Volk nachteilig wirken muß.

Die Einwohner Urmias haben einen abergläubigen Schrecken vor froschartigen Tieren und geben den Katholiken den Spitznamen „Froschesser“, weil diese den Widerwillen der andern gegen die Frösche nicht teilen, sondern weil sogar einige nach dem Beispiel der Missionare diese Tiere teilweise essen. Sollte hier nicht ein Rest des altpersischen Glaubens zu finden sein, der die Frösche als unreine Tiere betrachtet, die vertilgt werden müssen?

Die Christen essen durchschnittlich mehr Fleisch als die mohammedanischen Perser. Indes halten sie ihre Fasttage mit der größten Strenge. Eier, Fleisch, Butter und Milch sind an diesen Tagen untersagt, und die Nahrung besteht nur aus Brot, Bohnen, andern Hülsenfrüchten und Baumfrüchten. Jedoch ist das Fasten mehr eine strenge Abstinenz, denn die bezüglichen Bestimmungen über die Zeit des Essens und die Menge der Speisen sind durchaus nicht so streng, wie man wohl anzunehmen geneigt ist.

Es fehlt nicht an gewissen Bestimmungen betreffs des Fastens, an denen die Nestorianer sehr streng festhalten. Ein Missionar fragte einen nestorianischen Priester, warum seine Glaubensgenossen sich nicht mit den Chaldäern zu einer und derselben Kirche vereinigten, und war nicht wenig erstaunt, als er zur Antwort bekam: „Ihr seid andere Katholiken, ihr raucht an den Fasttagen, was eine schwere Sünde ist.“

Die Chaldäer, besonders die Nestorianer, treiben im großen ein einfaches Geschäft, das wenig ehrlich, aber, wie es scheint, um so einträglicher ist, und dessen Bekämpfung den Missionaren bis zur Stunde große Mühe macht. Durch die Leichtigkeit, mit welcher nestorianische Bischöfe Zeugnisse ausstellen, veranlaßt, durchzieht ein großer Teil ihrer Gläubigen unter der Verkleidung als Bettelpriester das russische Gebiet. In Deutschland wurden 1894 noch einige solcher Bettelpriester wegen Bettelei verhaftet. Die russischen Bauern, die einfache und naive Leute sind, lassen sich von den Nestorianern betrügen. Auch werden diese falschen Priester zuweilen zu Kranken gerufen. Ein solcher, der das Gewerbe nicht mehr betrieb, erzählte mir mit einem gewissen Stolz, wie er einst in einem solchen Falle, wiewohl er nicht lesen konnte, bedächtig irgend ein Buch öffnete und etwas murmelte, zwar kein Gebet, wohl aber Beschimpfungen, die dem angeführten Kranken galten. Das Geschäft ist sehr einträglich; man erzählt sogar von einem nestorianischen Bischof, daß er im Verein mit seinen Gaunern eine wirkliche Kommanditgesellschaft gegründet hat, wobei er nach dem Verhältnis seines Amtes und der durch die Zeugnisse bekundeten kirchlichen Würden an dem Gewinn teilnahm.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/136&oldid=- (Version vom 1.8.2018)