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30. September.

Nach dem Essen brachen wir auf und ritten bis Nasi in der Begleitung des Herrn Montéty. Der Weg hielt sich beständig in einer Ebene mit kleinen wellenförmigen Erhöhungen bis zu dem kleinen chaldäischen Dorfe, das auf dem linken Ufer des Naslu-Tschaï erbaut ist. Wir wurden von dem Pfarrer aufgenommen. Derselbe ist noch jung, aber Witwer und mit Kindern mehr als gesegnet, weshalb er auch selbstverständlich arm ist. Wie kann er sich bei der Sorge um seine Familie noch mit seinem Amte beschäftigen? diese Frage drängte sich uns unwillkürlich auf. Die Kirche starrte von Schmutz. Der Kirchhof enthielt keine interessanten Inschriften, trotzdem man uns die gegenteiligen Versicherungen gegeben hatte.

1. Oktober.

Um achteinhalb Uhr des Morgens reisten wir weiter. Wir trennten uns von Montéty und wandten uns dem Gebiete von Baradost zu.

Der Naslu-Tschaï bewässert das Land von Baradost. Er fließt von Norden nach Süden, dann durch verschiedene Engpässe, wendet sich darauf in einem Bogen nach Osten bis Nasi, worauf er dem See zufließt. Auf der Reise von Nasi nach Giangetschin durchschnitten wir den Bogen. Der Weg führt über eine Art terrassenförmige Hochebene, durch eine durchaus nackte Gegend, die hier und da von kleinen Gießbächen durchschnitten ist, deren Wasser dem Naslu-Tschai zueilt. In dem Augenblick, wo wir den Paß, der uns von Baradost trennte, überschreiten wollten, machten wir an dem Ufer eines Bergstromes Halt und staunten. Drei Bäume standen am Wege; niemand hat sie gepflanzt. Dies ist für die dortige Gegend ein kleines Wunder. Das kleine Gebüsch von Bisau-Dagh abgerechnet, waren dies die ersten wildwachsenden Bäume, die wir seit drei Wochen gesehen hatten, d. h. seitdem wir den Eschek-Meidan überschritten hatten.

Der Paß ist durch einen Schmugglerposten verteidigt, der uns einige Besorgnis einflößte; er erwartete uns mit den Waffen in der Hand und musterte uns scharf vom Kopf bis zu den Füßen. Ist es ein Regierungsposten oder der Wachtposten einer kurdischen Räuberbande? Im Grunde war das ziemlich dasselbe; wir waren zufrieden, daß wir unsere Flinten bei uns hatten und stolz vorbeigehen konnten.

Indem wir das Thal des Naslu-Tschaï wieder erreichten, kamen wir kurz vor Giangetschin an einem Lager nomadischer Kurden vorbei. Ihre großen braun, schwarzen Zelte sind zwar malerisch von Ansehen, gewähren aber bei näherer Besichtigung einen armseligen Anblick und sind durchaus nicht einladend.

Die Ebene von Giangetschin scheint früher ein See gewesen zu sein, der seine Deiche durchbrach und sich durch die Schlucht ergoß, die der Naslu-Tschaï bei seinem Austritt aus der Ebene durchläuft.

Ankunft 4½ Uhr nachmittags.

Ein vornehmer Christ des Ortes nahm uns in sein Haus auf. Man gelangt in dasselbe durch einen Gang, der zugleich als Pferdestall dient.

Das eigentliche Haus ist ein rechteckiger Saal von ungefähr acht Metern Länge und sechs Metern Breite. Das Dach ist nicht mehr platt wie in der Ebene von Urmia; vier hölzerne Pfeiler, die in den Ecken des Saales stehen, tragen zwei Balken, auf denen im Winkel drei Balken liegen; diese tragen wieder zwei Balken, und so geht es fort. Jede obere Lage steht etwas gegen die untere zurück. Das

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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/139&oldid=- (Version vom 1.8.2018)