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9. Oktober.

An diesem Morgen erhielten die Patres eine Depesche des Walis, der damals gerade in der Provinz Hakkiari war. Diese Depesche kann als Muster einer frechen Dummheit gelten. Was uns angeht, warf Khalil Pascha den Patres vor, uns der türkischen Gerichtsbarkeit entzogen und uns verhindert zu haben, unsere Papiere zu zeigen.

Der französische Gesandte antwortete auf die Depesche Hyvernats und kündigte gleichzeitig an, daß die Briefe des Vezirs nach Tiflis gesandt worden seien; von dem russischen Schutz erwähnte er kein Wort. Auf die Veranlassung des Konsuls telegraphierte Hyvernat von neuem, denn die Sache schien für uns bedenklich zu werden. Angesichts der Gefahr, in der wir uns befanden, nahm uns Kolubakin aus eigenem Antrieb für zwei Tage unter seinen persönlichen Schutz und benachrichtigte die türkische Verwaltung von diesem Schritte; aber ohne Befehl von Konstantinopel kann er nicht mehr für uns thun. Nach Ablauf dieser Frist mußte er uns dem Gouverneur ausliefern.

Zum Glück für uns setzte er sich mit dem englischen Konsul in Verbindung, und beide gaben uns ihr Ehrenwort, daß sie selbst ohne Befehl zu unsern Gunsten eintreten würden, wenn der Wali in die Behausung der Dominikaner eindringen oder uns verhaften sollte.

Wir durften also glauben, für den Augenblick vor einer ernstlichen Gefahr geschützt zu sein, aber wir mußten doch noch manche Widerwärtigkeiten erfahren.

Des Abends speisten wir bei Kolubakin; es ist nicht zu beschreiben, welch gemütlichen Eindruck die von Frau Kolubakin auf dem Klavier gespielten Arien auf uns machten; das war ein Abend nach europäischer Art in dieser verlorenen Ecke der Erde.

Dieses Klavier hat sogar eine Geschichte. Als Konsul genießt Kolubakin Befreiung von den Zöllen; als das Piano in einer fest verschlossenen Kiste anlangte, hielten die Türken den Inhalt der Kiste für eine Kanone; eine andere Kiste mit Gemälden sollte die Kugeln enthalten. Da gab es kein Zögern mehr, das Reich war in Gefahr, und man schleppte die Sachen zum Zollamte. Hier wagte man zwar nicht, die Kisten zu öffnen, aber man verweigerte deren Auslieferung. Nach mehreren vergeblichen Aufforderungen brachte der Konsul seine Untergebenen alle auf die Beine und begab sich in Begleitung seines Kawassen zum Zollamte. Eine Menge armenischer Gaffer folgte ihm. Hier wiederholte er seine Aufforderung, welche wieder mit einer Weigerung beantwortet wurde. Darauf zog der Konsul seinen Revolver, legte ihn auf den Chef des Zollamtes an und erklärte, daß er ihm, dem Chef, sogleich eine Kugel durch den Kopf jagen werde, falls einer der Beamten nur eine Hand an die Kisten legen würde. Zu gleicher Zeit gab er den Gaffern, denen die Sache gefiel, ein Zeichen, worauf diese die Sachen zum Konsulat schleppten. Jetzt wandte sich die Sache; der Konsul zwang den Zollamtschef, ihm zu folgen, und ließ dann vor seinen Augen die Kanone auspacken. Dann rief er seine Frau und sagte zu den Beamten: „Sie haben die Kanone gesehen, hier ist der Artillerist!“ Der „Artillerist“ spielte sofort die russische Nationalhymne.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/156&oldid=- (Version vom 1.8.2018)