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er sofort nach Baschkala telegraphieren werde, damit unser Gepäck in der Begleitung Nathanaels nach Wan geschafft werde. Auf diese Weise endigte die ungeheuer aufregende Sitzung.

Unterdessen war zwei Uhr vorbei; wir waren von Scherifoff um 1½ Uhr zum Mittagessen eingeladen worden. Unser Wirt hatte aber die Liebenswürdigkeit gehabt, uns bis drei Uhr zu erwarten. Der englische Konsul, der Scherifoff einen Besuch abstattete, wurde ebenfalls zum Diner eingeladen. In seiner Gegenwart konnten wir Scherifoff nicht gut über unsere Entscheidung aufklären, weshalb uns das Diner kein Ende zu nehmen schien. Nach dem Weggange des englischen Konsuls erklärten wir Scherifoff unsere Sache. Es schien uns, als ob er durchaus nicht unangenehm davon berührt sei, den Schwierigkeiten einer aktiven Intervention so enthoben worden zu sein; er behielt sich nur vor, im Falle, daß wir von neuem in Unannehmlichkeiten verwickelt würden, dazwischen zu treten.

9. November.

Derwisch Agha,[1] der Offizier, den der Wali zu unserem „Ehrengeleite“ bestimmt hatte, kam Tags darauf frühzeitig an: er schien ein rechtschaffener Mensch zu sein, was übrigens im allgemeinen ein charakteristisches Unterscheidungsmerkmal des türkischen Soldaten von dem Zivilbeamten ist. Wir bestellten ihn zum Zusammentreffen in Tebris-Kapu, um die Kirchen von Wan zu besuchen; während des ganzen Tages zogen wir ihn von einer Inschrift zur anderen bei einer intensiven Kälte.

10. November.

Da man uns benachrichtigt hatte, daß sich in dem Thale des Keschik-Göl Keilinschriften befänden, und daß Nathanael noch nicht ankommen könne, setzten wir uns in Bewegung, begleitet von unserem Offizier und drei Zabtiehs. Wir nahmen zunächst den weg über Coschab bis zum Fuße des hohen Warak; dort schlugen wir den Weg durch das Thal ein, das zur linken Seite des Berges hinaufsteigt, und umgingen auf diese Weise die Hauptspitze der Warakkette. Von dem Augenblicke an wateten wir beständig durch den Schnee.

Bald nahm die Landschaft einen wilden Charakter an und zwar hauptsächlich durch die Masse der phantastisch geformten Berge, die sich in ihrem dunklen Aussehen über den frischen Schnee neigen: es ist eine vollständige Einsamkeit. So stiegen wir weiter bis zu einem etwas ebeneren Teile des Thales; dort haben die Bewohner Wans ein Wehr angelegt, um das Wasser für die Bewässerungsanlagen zurückzuhalten. Das Wehr ist schon ziemlich weit von Wan entfernt. Es selbst dient nur zum Auffangen des Wassers, das durch eine ganze Reihe von Kanälen, die schon viel höher beginnen, ihm zugeleitet wird. Diese Kanäle, die oft an den gefährlichsten Abhängen vorbeiführen, zeugen häufig von einer ernsthaften Arbeit; aber leider ist alles zu sehr türkisch, und diese Kanäle, die so viel Arbeit erfordert haben, werden schlecht im Stand gehalten.

Nach einem dreistündigen Marsche erreichten wir Toni, ein kleines in einem Schlupfwinkel des Gebirges verborgenes Dorf. Hier richtete man das Haus eines Notabeln für uns ein; es bestand aber nur aus einem einzigen Zimmer, d. h. aus

  1. Nicht zu verwechseln mit seinem Namensvetter, dem Tabur-Agassi.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/172&oldid=- (Version vom 1.8.2018)