Seite:Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen.pdf/174

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

wird er handeln? Ich glaubte dies einfach nicht. Ich bin fest überzeugt, daß der Wali, wenn er nicht selbst die Schwierigkeiten, die dazu ein sehr dummes Gepräge trugen, veranlaßt hat, er doch wenigstens bestrebt war, sie auszubeuten; was er in unserer Gegenwart aufführte, war nur eine Komödie, die den Zweck hatte, uns hinter das Licht zu führen und in uns den Glauben an seine absolute Unschuld zu erwecken.

Wir begaben uns zum Polizeibureau; da gab es wieder eine neue und langweilige Formalität. Alles wurde genau untersucht, geprüft und gewägt; der Tabur Agassi betrachtete alle unsere Papiere sorgfältig nach einander. Die linkische Manier, mit der er gewisse türkische Schriftstücke handhabte, ließ uns dem Gerücht zustimmen, daß der ehrenwerte Beamte nicht einmal der edlen Kunst des Lesens mächtig sei.

Übrigens fehlte uns eine Masse Gegenstände, die wohl auf der Reise einen neuen Herrn gefunden hatten.

Nachdem die Verhandlung beendet und unsere Tiere wieder mit ihrer Last beladen waren, verließen wir die Bude Tabur Agassis. Wir mußten durch eine Menge Gaffer gehen, die durch unsern „Fall“ sich versammelt hatten. Ungeachtet der Garantie, gewährt durch so viele Untersuchungen, schien unser Gepäck dem Volke noch im höchsten Grade verdächtig, was daraus hervorgeht, daß sich alle beeilten, so weit als möglich von dem Gepäck weg zu kommen. Das Gerücht von unsern gefährlichen Sachen hatte also Glauben gefunden.

Nathanael erzählte uns nun all seinen Verdruß, den er hatte ausstehen müssen; eine türkische Zugabe verdient indes doch noch erwähnt zu werden. wir hatten in unserem Gepäck 75 Revolverpatronen; diese Sache war bedenklich. Bei der ersten Revision unserer Bagage beeilte sich der Chef des Zollamtes seinen Vorgesetzten dies zu telegraphieren; aber da er dem Anscheine nach ein sehr sparsamer Mann war, wollte er ein Wort in der Depesche ersparen und dachte, die Auslassung des Wortes Patrone sei nicht schlimm; anstatt nun seinen Vorgesetzten die Entdeckung der 75 Revolverpatronen zu melden (jetmisch besch revolver fischenk) setzt er denselben von den gefundenen 75 Revolvern in Kenntnis (jetmisch besch revolver!), und dieses that er, so viel wir erfahren konnten, zweimal. Damit der Leser nicht auf den Gedanken komme, die Erzählung sei aus dem Jägerlatein übersetzt, wiederhole ich, daß die Geschichte durchaus wahr ist.

Der Wali ließ uns noch einmal rufen und teilte uns mit, daß die Nathanael betreffenden Schwierigkeiten beendet seien, wobei er voraussetzte, daß Hyvernat und ich die Garantie für die Ehrenhaftigkeit Nathanaels übernähmen, was wir selbstverständlich zu thun uns beeilten.

Nichtsdestoweniger rieten uns unsere Freunde in Wan zu der größten Vorsicht, ja sie verleiteten uns sogar zu einigem Mißtrauen. „Diese Garantie ist eine Falle; Nathanael ist ein Chaldäer und Missionar, weshalb er in den augenblicklichen Verhältnissen doppelt verdächtig ist. Läßt er sich die geringste, wenn auch noch so unschuldige Abweichung von den Vorschriften oder Gebräuchen zu Schulden kommen, so ist es mit seiner Ehrenhaftigkeit in den Augen der Türkei vorbei, und die Folge davon ist, daß Sie von neuem Gefahr laufen.“ Diese Erwägungen veranlaßten uns zum Nachdenken. Wir standen im Begriff, in Gegenden vorzudringen, die gänzlich außerhalb des Machtbereichs europäischer Konsuln stehen, und die selbst nach der

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/174&oldid=- (Version vom 1.8.2018)