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und dieser Furcht hatte Joseph Grimaud es zu verdanken, daß er dem Gefängnis entschlüpft ist, wie bereits erzählt wurde.

Im übrigen versteht es dieser Polizeichef in seinen Funktionen ganz gut, die augenblickliche Sachlage richtig zu beurteilen. Den Armeniern gegenüber ist er wachsam; den Kurden gegenüber freilich verfolgt ihn das Schicksal. Damals gelang es durch einen merkwürdigen Zufall zehn kurdischen Gefangenen zu entfliehen, und was noch merkwürdiger war, zu gleicher Zeit soll die Kassette Derwisch Aghas um zweihundert Franks schwerer geworden sein.

Man erzählte uns noch einen gerichtlichen Zufall, für dessen Wahrheit ich indes nicht bürgen kann, da die Russen eine Rolle dabei spielten.

Die protestantische Mission hatte in Erserum einen alten armenischen Schullehrer. Ein junger Armenier im Alter von ungefähr achtzehn Jahren verfertigte ein Gedicht, worin er seinen Ahnungen über die Zukunft Armeniens freien Ausdruck gab. Der alte Lehrer korrigierte das Gedicht, strich die kompromittierenden Stellen und ersetzte sie durch harmlosere. Einige Zeit nachher verließ der Dichter Erserum; auf seiner Reise wurde er festgehalten und untersucht, wobei man auch das Gedicht fand. Er wurde darauf sofort in das Gefängnis geworfen wie auch sein Lehrer. Der Dichter starb, ehe er verurteilt wurde, in dem Gefängnis an den Folgen der erlittenen Mißhandlungen; der Lehrer wurde auf Lebenszeit verbannt.

Ein junger Malteser mit Namen Luigi d’Amato, der englischer Staatsangehöriger war, hatte in Wan eine kleine, blühende Apotheke. Ein hoher türkischer Beamter verlangte eines Tages von ihm ein Mittel zur Veranlassung einer Frühgeburt. D’Amato weigerte sich, dieses zu verabfolgen; sofort klagte ihn der Beamte wegen angeblich verübter Verbrechen bei dem Wali von Wan, dem Vorgänger Khalil Paschas an. Der Wali ließ d’Amato kommen; nach mehreren Schimpfereien befahl er ihm, die Sache zu erzählen. Der Wali, ein Mann der „alten Türkei“ hörte die Auseinandersetzungen an, bewunderte d’Amato und schenkte ihm seine Freundschaft. Kurze Zeit nachher starb der Wali, der damals über achtzig Jahre alt und schon längere Zeit kränklich war.

Nachdem der Beamte, den d’Amato damals hinausgeworfen hatte, so lange gewartet hatte, daß mit den in Wan vorhandenen Mitteln die Leiche des Walis nicht mehr gerichtlich untersucht werden konnte, klagte er d’Amato an, den Wali vergiftet zu haben. Auf diese einfache Anschuldigung hin wurde d’Amato ohne jegliche Untersuchung verhaftet. Sechs Monate saß er in der Untersuchungshaft; in dieser Zeit wurde seine Apotheke geschlossen und der Plünderung überlassen. Am Ende der sechs Monate gelang es endlich dem englischen Konsul, die provisorische Freilassung des Verhafteten zu bewirken; aber jetzt weiß noch niemand, wann d’Amato vor das Gericht gestellt wird. Auf den einfachen Verdacht hin wurde der Bedauernswerte ruiniert.

Ein armenischer Photograph, Patedschan mit Namen, der im Dienste der protestantischen Mission stand, hatte vor einiger Zeit einige photographische Aufnahmen von der Stadt und Festung Wan gemacht wie auch von der einen oder andern Keilinschrift. Plötzlich schöpfte man Verdacht. Man nahm ihm seine Clichés und wird ihm auch zweifelsohne seine Apparate zertrümmern. Während der bei ihm vorgenommenen Haussuchung prüfte ein höherer Offizier die Photographien.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/185&oldid=- (Version vom 1.8.2018)