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Sprache dieser Dokumente besaß. Man hat diesen Inschriften den besondern Namen „die von Wan oder alarodinische“ gegeben.

Ich will nicht weiter über die in den Felsen eingehauene Inschrift reden; wir wollen uns lieber zu dem nordwestlichen Ende der Festung begeben. Unterwegs wartet eine neue Überraschung auf uns. Beinahe auf dem Gipfel des Felsens befindet sich eine Erdharzquelle. Für eine Quelle ist der Ort doch höchst merkwürdig.

Dieser nordwestliche Theil der Festung schließt die berühmte Khorkor-Grotte ein, oberhalb des Gurabviertels; sie ist in den steilen Felsen, der die Stadt beherrscht, eingehauen; eine kleine, etwas schwindelerregende Treppe führt zu der Grotte. Die Einfassungen des Eintrittes sind ganz mit Keilinschriften bedeckt. Die Politur der oberen Partien ist noch vollständig vorhanden. Die Schriftzüge haben eine bewundernswerte Schönheit und Schärfe der Winkel behalten. Wären nicht einige Stellen von Kanonenkugeln beschädigt, so müßte man glauben, dieselbe sei in jüngster Zeit angefertigt worden, während doch ihr Urheber, Argistis I., im achten Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung gelebt hat.

Das Innere dieser Grotte, die offenbar zu Begräbniszwecken gedient hat, setzt sich aus einem großen, rechteckigen Saale (von 4,5 Meter Breite und 10 Meter Länge) und einigen damit verbundenen Zellen zusammen. Der große Saal ist mit einer Art Kranzgesims geschmückt; an den Mauern entlang befinden sich mehrere viereckige Nischen von ungefähr dreißig Centimetern Tiefe. In gewissen gleichen Entfernungen finden sich ungefähr kreuzförmige Vertiefungen, die mit großer Sorgfalt hergestellt sind, und die dem Anscheine nach den Zweck hatten, Metallornamente aufzunehmen. In die Felsenwand eingegrabene Namen berühmter Reisenden wie Texier,[1] de Laval, de la Guiche, de Roger etc. sind hier zu lesen. Da Wan noch nicht viel von ausländischen Reisenden besucht worden ist, glaubten wir uns auch berechtigt, in der Grotte einen Beweis unserer Anwesenheit zurückzulassen. Aber unsere Anstrengungen waren vergeblich; um unsere Namen einzugraben, bedurfte es eines besser gehärteten Meißels von Stahl, denn unsere Grabstichel brachten auf den harten Kalkstein nur Eindrücke wie von gewöhnlichem Eisen hervor. Welch schreckliche Arbeit muß es doch gewesen sein, solche Zimmer in dem Felsen auszuhöhlen!

Unter dieser von uns besuchten Grotte befindet sich noch eine andere, die aber keinen Zugang hat. Deyrolle ließ sich mit vieler Gefahr an einem Strick hinab; uns schien das Wagnis nicht der Mühe wert, es zu unternehmen.

Die Felsen über der Khorkorgrotte sind treppenförmig zugehauen. Nach der Legende sollen die Könige von Wan sie so haben zubereiten lassen, um auf diesen Stufen sitzend das wunderschöne Panorama ihrer Herrschaft betrachten zu können. Die Wahrheit schien uns prosaischer zu sein; nach unserer Ansicht dienten diese Stufen nur, um die ersten Steinschichten bei der Erbauung der Stadt der Semiramis zu tragen.

Einige Lagen solcher gigantischer Blöcke sind heute noch am äußersten Nordwestende der Festung vorhanden; es ist dies aber auch alles, was von

  1. Siehe Texier „Armenie“ II. II. ff.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/194&oldid=- (Version vom 1.8.2018)