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Wie könnte man die herrliche Sophienkirche übersehen, einen der schönsten Tempel, die je von Menschenhand hervorgebracht worden sind. Noch heute ist sie bewunderungswürdig ungeachtet ihres Alters, das die Unbilden der Zeit und der Verwüster erfahren hat, die beide nur zu deutliche Spuren zurückgelassen haben. Und ihre verjüngte Nachbildung, die Moschee Solimans des Prächtigen, der unvergleichbare Zauber der Ufer des Bosporus und dieses muntere, originelle Leben! Dies sollte man außer acht lassen können!

Selbst die Zudringlichkeit der Bettler entbehrt nicht jedes Interesses. Es giebt kaum etwas Gelungeneres als diese unbescheidenen Straßenjungen an der Brücke von Galata. Kaum zählen sie fünf bis sechs Jahre; mit meist grellen Fetzen bekleidet, verfolgen sie die Reisenden und suchen dieselben durch den rhythmischen Gesang ihrer türkischen Lieder zu erweichen, oder aber sie versuchen ihr Heil mit oft sehr originellen Wünschen, so daß die Reisenden nicht umhin können, ihnen einige Paras zu verabfolgen.

Beim Herannahen des Beïramfestes zeigt sich dem Auge ein anderes Schauspiel, das man leicht für eine besondere Art Karneval ansehen könnte. In den Straßen Konstantinopels drängen und stoßen sich die Hammals, wovon jeder auf dem Rücken einen Hammel trägt, der für den Tag der großen Opfer bestimmt ist. Und in den schmalen Gäßchen, wo man ab und zu von seinen Ellenbogen Gebrauch machen muß, wird dann zuweilen der Kampf um die Passage inmitten dieser Hammelwanderung von außerordentlicher Komik.

Das Volksleben Konstantinopels ist interessant und naiv. In den Straßen Peras präsentiert sich die türkische Welt im ungünstigsten Lichte. Die alte Eifersucht hat dem modernen Fortschritte Zugeständnisse machen müssen. Die Haremsweiber irgend eines Reichen durcheilen, nicht mehr wie früher in ihre dichte Schleier verhüllt, die Straßen; ein leichter Schleier verdeckt nur das geschminkte Gesicht, gleichsam um es desto auffälliger zu machen. Man erkennt beim ersten Blick die Wunde der Welt des Islams, nämlich den Mangel des echten Familienlebens.

Gerne hätten wir uns noch länger der Beobachtung dieser und anderer typischen Gestalten hingegeben; aber es war nicht möglich, da die Vorbereitungen zur Reise uns zu sehr in Anspruch nahmen: amtliche Besuche, die Länge der bureaukratischen Formalitäten, Verhandlungen über Trinkgelder, alles dieses waren Hindernisse, die uns nur zu viel Zeit kosteten.

In Konstantinopel fanden wir unsere zwei Reisebegleiter: den einen, unsern ausgezeichneten Freund von Rom her, den Archimandriten D…, den andern, einen Lazaristen chaldäischen Ursprungs, mit Namen Nathanael. Dieser benutzte die Gelegenheit um sein Heimatland, Khosrawa, wiederzusehen; gleichzeitig sollte er uns als Dolmetscher dienen.

Endlich hatten wir als Diener einen Chaldäer, namens Sergius, angenommen, der in Konstantinopel Abenteuer suchte; diese Erwerbung war beklagenswert, weshalb wir uns seiner bald entledigen mußten.

Hyvernat war von der französischen Regierung gleichzeitig eine wissenschaftliche Mission übertragen worden, und deshalb war er schon vier Monate früher durch das französische Ministerium der russischen Regierung empfohlen worden. Dabei war ihm der Titel Abbé Hyvernat gegeben worden. Dies war Grund genug, um

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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/20&oldid=- (Version vom 1.8.2018)