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es im Anfang dieses Jahrhunderts; merkwürdigerweise konnte Texier es aber nicht auffinden, sondern versetzte es nach Merik an das Ufer des Sees.

Beim Ausgang aus der Stadt überschreitet man zunächst die große Ebene von Wan; der Aufstieg beginnt erst kurz vor dem kleinen Dorfe Schuschantz, das wie Lesk sehr malerisch um einen Felsen liegt. Von da aus geht es aufwärts den Warak entlang bis zum Kloster auf einem angenehmen Wege an dürren und wilden Felsenwänden vorbei.

Der Anblick des Klosters ist hübsch; die armenischen Kuppeln der Kirchen geben ihm ein altertümliches Gepräge, während ein moderner Zug durch die allerdings noch unvollendeten Gebäude einer Schule hergestellt wird. Das eigentliche Kloster ist ziemlich heruntergekommen; es beherbergt nur mehr einige Religiösen, die zwar ganz gute Menschen zu sein scheinen, aber sehr unkultiviert sind; sie nahmen uns ganz liebenswürdig auf, ohne sich im mindesten an unserm Charakter als katholische Priester zu stoßen. Sehr bereitwillig teilten sie unsere Mahlzeit mit uns.

Dem Namen nach soll das Kloster sieben Kirchen enthalten; mit etwas gutem Willen gelingt es auch dem Reisenden, dies bestätigt zu finden. Aber die Mehrzahl der Kirchen liegt in Trümmern.

Die Hauptkirche ist ganz hübsch; wie fast alle armenische Kirchen setzt sie sich aus zwei deutlich getrennten Teilen zusammen, die durch eine Thüre verbunden sind. Von diesen beiden Teilen ist das Chor am meisten beschädigt; das Schiff ist in besserm Zustande und seine Kuppel hebt sich sehr elegant von den Stützpfeilern ab. Gemälde von sehr altem Aussehen zogen in dem Halbdunkel meine Aufmerksamkeit auf sich, weshalb ich mich etwas mit ihnen beschäftigte. Aber wie groß war mein Erstaunen, als ich bei näherm Zuschauen Perücken und Halskrausen aus der Zeit Ludwigs XV. entdeckte! Das antike Aussehen war verschwunden, nur die Unbeholfenheit in der Darstellung erinnert noch daran.

Das Kloster hütet auch mit großer Sorgfalt den hölzernen Thron des Königs Sennacherib.

Bei dem Vernehmen dieser Wundermär konnte ich mich eines ungläubigen Lächelns nicht erwehren. Aber die Sache ist doch weniger lächerlich, als sie auf den ersten Blick hin erscheint; wenn es sich hierbei auch nicht um den Sennacherib der Bibel handelt, so doch vielleicht um den König Senek’harim, der im 11. Jahrhundert über Waspurakhan herrschte.[1] Wahrscheinlich ist es dieser König, dessen Thron die Mönche, ob mit Recht oder Unrecht, mag dahingestellt bleiben, zu besitzen behaupten. In jedem Falle aber ist dieser Thron ein sehr schönes Muster der alten armenischen Kunst.

Hyvernat zeichnete mehrere auf den Mauern angebrachte Keilinschriften hier auf.

Ein Träger einer solchen Inschrift, ein sehr schönes obeliskenartiges Grabmal aus einem einzigen Stein, dient der äußern Thüre der Bibliothek als Oberschwelle (Zapfenhalter). Zu unserm großen Erstaunen war die Thür gerichtlich versiegelt; während Hyvernat auf einem improvisierten Gerüst stehend die Inschrift kopierte, ließ ich mir ein Stück moderner Geschichte erzählen, die ich in Nachstehendem kurz wiedergebe.

  1. Siehe Ritter „Erdkunde“ IX, 662.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/206&oldid=- (Version vom 1.8.2018)