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Dort hatte er einige Händel mit der Polizei, und da er sich nicht verhaften lassen wollte, leistete er Widerstand. Dafür schoß ihm die Polizei eine Kugel in den Spann, so daß er vorläufig das Gefängnis mit dem Spital vertauschen mußte. Ein Student der Medizin, der wahrscheinlich gern eine Operation vorgenommen hätte, erklärte den Zustand des Verwundeten für sehr bedenklich und schlug eine Amputation für den folgenden Tag vor. Gegu, der Französisch versteht, stand den Tod während der Rede des Studenten aus, war aber mit einer Amputation nicht einverstanden. Nachdem es Abend geworden war, erhob er sich von seinem Lager und hinkte auf einem Beine, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, aus dem Spitale und flüchtete in ein Wäldchen. Es war dies kein angenehmer Aufenthalt für ihn; aber die Wunde ist geschlossen, trotzdem die Kugel noch darin steckt; Gegu hinkt seit dieser Zeit.

Konstantinopel hatte nun für unsern Helden keinen Reiz mehr; als Heizer auf einem Dampfschiff des Schwarzen Meeres verließ er die schöne Stadt. Daß dies kein Beruf für Gegu war, ließ sich denken; nicht lange darauf zeigte er gegen ein Entgeld in Erserum Affen. Etwas später finden wir ihn als Postkondukteur in Persien.

Wie hätte er der Versuchung widerstehen können, Straßenräuber zu werden? Von Natur aus hatte er schon die Anlagen dazu; wieviel hinterlistige Streiche hatte er in seinem Vagabundenleben nicht schon führen müssen? Als er auf seinen Wanderungen wieder in sein Vaterland zurückgekehrt war und sich in den Bergen befand, welche die dreifache Grenze von Rußland, der Türkei und Persien beherrschen, konnte es nicht ausbleiben, daß Gegu bei seinen mannigfachen Erfahrungen bald seine Wahl getroffen hatte und in kurzer Zeit zum Räuberhauptmann avancierte. In diesen Ländern ist übrigens der Brigant noch die wahre Personifikation eines Menschen. Die Bevölkerung besteht aus den Eingeborenen und den Beamten. Die Eingeborenen sind arm und unterdrückt; die Beamten sind unverschämte Gauner. Hier erscheint der Brigant als Rächer. Heute versorgt er irgend einem armen Teufel ein Pferd zur Flucht, morgen einen Hammel, damit er leben kann. Aber der Beamte mag sich hüten; fällt er dem Briganten in die Hände, so muß er alles herausgeben.

Ich kann mir zwar nicht verhehlen, daß diese Art der Justiz etwas viel Willkürliches an sich hat, aber es ist doch wenigstens eine Empörung gegen die schlechte Verwaltung, eine Probe von smartness (Schlauheit), wie der Amerikaner sagt, und gerade darum gilt der Brigant in jenen Gegenden, wenn auch nicht als ein überirdisches, so doch als ein höheres Wesen. Am meisten sind die Kaufleute zu beklagen, deren Karawanen ihnen leider gerade so gut zum Opfer fallen als Kisten der Beamten.

Wenn das Plündern einer Karawane einen guten Verdienst abwirft, erlauben sich die Briganten zuweilen die merkwürdigsten Ausschweifungen in bezug auf Ausgaben und Verschwendungen. Einmal warf die Bande Gegus eine ganze Ladung Zucker in das Becken einer Quelle, um sich den Luxus zu gestatten, ihre Pferde mit Zuckerwasser zu tränken.

Obgleich Gegu Straßenräuber war, glaubte er doch, eine ehrliche Mission durch seine Räubereien zu erfüllen; um so größer war sein Erstaunen, als er eines Tages mit den Lazaristen in Khosrawa zusammentraf und von diesen das Verdammungsurteil

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/212&oldid=- (Version vom 1.8.2018)