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ein Zeichen der Patres willigte er ein, unser Führer zu werden. Wir hätten in diesem Punkte kein größeres Glück haben können, denn Gegu war für unsere Reise so ein Stück Vorsehung.

Wenn wir des Abends in einem Dorfe ankamen, verstand er es ausgezeichnet, den besten Platz zur Ruhe ausfindig zu machen, und mit Unterstützung der Zabtiehs brachte er alles in Ordnung, so daß wir uns einer Gastfreundschaft zu erfreuen hatten, wie sie nur mehr im Orient vorkommen kann. Dann verwandelte sich Gegu in einen Koch. Mit wenigen Dingen bereitete er ein saftiges Souper für uns. Er war ein ausgezeichneter, geheimnisvoller Küchenmeister; wenn wir uns dagegen selbst mit der Kochangelegenheit befaßten, kam regelmäßig nichts Ordentliches auf den Tisch. Zuweilen hätten wir uns lieber mit einem einfachen Imbiß begnügt, damit wir um so eher zur Ruhe gekommen wären; aber Gegu ließ uns nicht dazu kommen; wir mußten warten, bis er ordentlich gekocht hatte, wodurch es aber auch zuweilen vorkam, daß wir erst gegen zehn Uhr des Abends speisten.

Während des Kochens zündete Gegu den Samowar an und bereitete uns einige Tassen des köstlichen russischen Thees, der uns nach den Anstrengungen des Tages ungemein erquickte. In einem solchen Augenblicke erschien einst der Eigentümer unserer Behausung, den wir ohne Zeremonien ausgetrieben hatten, mit den Ältesten des Dorfes, um seinen Gästen einen „Besuch“ abzustatten. Nachdem sie eingetreten waren, boten wir ihnen einige Zigaretten und Gegu ihnen einige Tassen Thee an; die Folge davon war, daß wir bleiben durften.

Ohne sein Amt als Koch zu vernachlässigen, beteiligte sich Gegu dann noch an der Unterhaltung; als alter Brigant betrachtete er sich als Bruder oder doch wenigstens als Vetter aller Bergbewohner, und die Eintracht war schnell hergestellt.

Diesen Umstand benutzte er dann, um zu unsern Gunsten riesig aufzuschneiden. Da wir die kurdische Sprache nicht verstanden, hatte er jede Freiheit, aus uns nach seinem Belieben irgendwelche Persönlichkeiten herzustellen, je nachdem wir bei harmlosen Bauern oder ziemlich unzuverlässigen Straßenräubern logierten. Ich bin fest überzeugt, daß wir der Aufschneiderei Gegus die Ehren, die uns erwiesen wurden, zu verdanken hatten, wie auch das Glück, daß wir ohne jegliches Hindernis das kurdische Gebiet durchreisen konnten.

Des Morgens war uns Gegu noch wertvoller; die Nahrungsmittel mußten bezahlt und die Gastfreundschaft honoriert werden. wären wir auf uns allein angewiesen gewesen, so würden wir weidlich gerupft worden sein, und dennoch hatten die Leute sich vielleicht unzufrieden und gekränkt gefühlt. Dann schickte Gegu uns mit dem Gepäck fort und begann mit der Abrechnung. Nach Verlauf von fünf Minuten hörten wir dann gewöhnlich ein Schreien und einen heftigen Streit, wobei die Stimme Gegus alles übertönte, wenn er mit wahrer Verschwendung den Leuten alle Schmeicheleien, wie „Hundekerl“ u. dgl. an den Kopf warf. Endlich zahlte er, gab dem Pferde die Sporen und ritt in Begleitung von – keinen Verwünschungen – Lachen und herzlichen Wünschen seiner früheren Gegner fort, die durch unsere Großmut völlig befriedigt waren.

Einem Laien dürfte es schwer fallen, sich in dergleichen Fällen mit heiler Haut aus der Sache zu ziehen.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/214&oldid=- (Version vom 1.8.2018)