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gewöhnlich ein mit großer Sorgfalt ausgehauenes Grabkreuz im georgischen oder armenischen Stil trägt.[1]

Um nach Karakhan zu kommen, mußten wir das Thal des Bendimahi-Tschaï überschreiten.

Dadurch, daß das Niveau des Wansees sich häufig verändert, hat der Bendimahi-Tschaï, der sein Gerölle mitführt zum Wansee, aus dem untern Teile des Thales eine Art schlammiges Delta gebildet, das den Marsch sehr erschwert. Indes ist dies nicht sehr schlimm, da der Pfad bald in Höhe geht, wo es weniger morastig ist, und man auch eine alte Brücke benützen kann.

Wenn ich dem Leser Rechenschaft über den tiefsten Eindruck geben sollte, den ich auf der Reise gewonnen habe, so müßte ich noch einen Sonnenuntergang beschreiben, wenn es möglich wäre, die wunderbare Abwechslung, die Gott in seinen Werken bietet, mit der Feder zu schildern. Der Sipan-Dagh vor unsern Augen schließt den Horizont ab; um seine Größe noch zu steigern, gaben ihm dünne, purpurne Wolkenstreifen eine gazeähnliche Einfassung, während seine schneebedeckte Spitze, indem sie die Farbentöne der abendlichen Beleuchtung zurückwarf, mit seinem Hintergrunde übereinstimmte, wo der Azur in ein Smaragdgrün überging. Bei diesem herrlichen Schauspiel war kein Geräusch zu vernehmen, ein Schäfer trieb seine Heerde heim, und in der Ferne sah man große, weiße Vögel wahrscheinlich ihren Nestern zufliegen.

So kamen wir an die Brücke des Bendimahi-Tschaï; sie ist zwar alt und ein wenig baufällig, aber sie stammt noch aus jener Zeit, wo man in diesem Lande Eleganz und Dauerhaftigkeit bei den Bauten zu vereinigen wußte.

Über diese Brücke führt auch der Fahrweg von Wan nach Erserum.

In jener Gegend sollte es Fahrwege geben! Ganz gewiß giebt es einen, das beweisen doch die Ziffern, die in dem Budget des Sultans dafür stehen! In Wirklichkeit ist es freilich etwas anders. Beim Ausgange aus Wan beginnt die Unordnung schon bei der zweiten kleinen Brücke, die eingestürzt ist. Etwas weiter ist keine Rede mehr weder von kleinen noch von großen Brücken. Die ersten Erdarbeiten sind zwar gemacht, aber Gott weiß, wann die übrigen Arbeiten ausgeführt werden. Der Grund davon ist ziemlich einfach; eine Straße ist notwendig; der Sultan gewährt den Kredit, und die Arbeiten werden begonnen. Hat aber der Wali sich und seinen Helfershelfern mit Hilfe des bewilligten Geldes die Börsen gefüllt, so werden die Arbeiten eingestellt. Die Straße wird fertig erklärt, feierlich eröffnet und alles ist gut.

In Baschkala sahen wir eine angefangene Landstraße in demselben Zustande. Niemand giebt sich in Betreff solcher Sachen einer Täuschung hin, da keiner die Fertigstellung der Straßen erwartet. Von Wan aus folgen wir den unter der Schneedecke noch sichtbaren Spuren des Weges; aber kein Reisender war anzutreffen. Fußgänger und Arabahs folgen dem alten Pfad. Wer weiß, ob der Weg der Arabahs, der Wan mit Erserum verbindet, jemals durch eine ordentliche Straße ersetzt werden wird? vielleicht, aber nur dann, wenn die Russen das Land erobert haben werden.

  1. Auf diesem Kirchhofe finden sich auch die Originale der beiden Grabkreuze, die in diesem Buche abgebildet sind.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/222&oldid=- (Version vom 1.8.2018)